Der Entertainer
genug schämte sie sich ihres Sohnes, und das merkte Vasco sehr genau. Dabei hätte er sie früher so nötig gehabt, doch sie hatten ihn immer wieder zur Seite gestoßen. Ja, sie war böse und egoistisch!
Aber war sie das Böse?
Der Gedanke erschreckte ihn, und er spürte auf seinem Rücken die kalte Haut. Das Böse, der Tod — alles umgab ihn. Es war einfach furchtbar, und es wurde noch furchtbarer, wenn er daran dachte, daß seine Mutter auf der anderen Seite stand.
»Ich muß ihn haben«, flüsterte er. »Ich muß meinen Wächter haben. Dann werde ich zu Mutter hingehen und sie fragen. Ja, vor allen Leuten werde ich sie fragen, ob sie das Böse ist. Niemand kann mich daran hindern, und der Wächter wird mich schützen.«
Das Grundstück besaß gewaltiges Ausmaße. Da konnten hundert Gäste kommen und sich auf dem Gelände fast verlaufen. Es war zudem günstig eingeteilt worden, denn gefeiert wurde auf der von Vasco aus gesehen linken Seite. Da brauchte er glücklicherweise nichthin. Er hatte es eilig. Plötzlich fürchtete er sich vor der Dunkelheit, auch wenn sie von bunten Lichtreflexen unterbrochen wurde. Für ihn war es einfach schlimm, ohne seinen Wächter war er nur mehr ein hilfloses Bündel. Geduckt hetzte er über den weichen Boden und lauschte den Echos seiner eigenen Schritte nach, die dumpf klangen wie eine Trommel, die nur leicht angeschlagen worden war.
Auch an der Rückseite des Hauses brannten Lichter. Sie sahen aus wie helle Pinselflecken, in deren Gelb zahlreiche Insekten tanzten. Die breiten Strahlen der Suchscheinwerfer durchstießen den Garten nicht. Darauf konnte man an diesem Abend verzichten.
Einer der Aufpasser stellte sich ihm in den Weg. Der Mann griff automatisch zur Waffe, löste seine Hand aber, als er den Sohn des Hauses erkannte.
»Wollen Sie zur Feier?«
»Nein, in mein Zimmer.«
»Viel Spaß.«
Vasco gab keine Antwort und lief weiter. Der Schweiß klebte in seinem Nacken fest und lag auch auf seinem Rücken. Er fühlte sich wieder verfolgt und fluchte selbst auf die in der Luft umherschwirrenden Insekten. Endlich hatte er das Haus erreicht. Schwer atmend fiel er gegen die weiße Mauer.
Geschafft!
Grillen zirpten in seiner Nähe. Ihre Geräusche übertönten auch sein heftiges Atmen.
Die Tür war nicht verschlossen. Er brauchte nur die Klinke nach unten zu drücken.
In diesem Teil des Hauses brannten weniger Lichter. Er stieg die breite Treppe hoch und traute sich nicht, das Licht einzuschalten, obgleich er sich auch vor der Dunkelheit fürchtete.
Der breite Flur strahlte Ruhe aus. Ein dicker Teppich schluckte die Trittgeräusche. Manchmal blickte er durch eines der Fenster nach draußen.
Die Leute feierten.
Sie aßen, sie tranken, die Kapelle spielte. Einige Paare tanzten auch, und seine Mutter war mal wieder Mittelpunkt. Sie trug ihre neue Robe, ein traumhaftes Kleid, aus Europa importiert, und wahrscheinlich hatte sie die Feier nur wegen des neuen Kleides gegeben. Ihr war in dieser Hinsicht alles zuzutrauen.
Die Gäste umschwärmten sie, und Senhora Falanga war in ihrem Element. Der einsame Beobachter ballte die Hände. Um ihn hatte sich die Mutter nie gekümmert, nein, nicht um ihn… Er wandte sich ab.
Mit schleppenden Schritten ging er weiter und fing plötzlich an zu weinen. Der Ausbruch erfolgte so plötzlich wie der eines Vulkans. Es gelang ihm nicht, die Tränen zu stoppen. Weinend ging er weiter, bis er sein Zimmer erreicht hatte und sich gegen die Tür lehnte. Sie alle da unten würden sich noch wundern. Sie würden noch jammern und klagen, wenn er einmal zurückschlug.
Mit der Hand fiel er auf die glänzende Messingklinke und drückte die Tür nach innen.
Auch er bewohnte mehrere Räume, obwohl er sie haßte. Am liebsten hätte er alles fortgeworfen und angezündet. Mit unsicheren Schritten wankte er in das Zimmer. Die Tür trat er mit der Sohle wieder zu. Er war froh, als sie ins Schloß fiel.
Dann blieb er stehen.
Die hohen Fenster luden ein zum Blick nach draußen. In der Dunkelheit gab die teure Hi-Fi-Anlage einen matten Glanz ab. Unter der hellen Decke zeichneten sich die zylinderartigen Fassungen der schräg sitzenden Lampenstrahler ab. Sein Wächter lag im Schlafzimmer. Er besaß dort einen bestimmten Platz, damit ihn Vasco immer sofort fand. Im Dunkeln öffnete er die Tür und trat über die Schwelle.
Das Bett zeichnete sich ebenso ab wie der schmale Schrank. Über der Liegestatt hing träge das helle Moskitonetz. Obwohl das Haus mit
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