Der Entertainer
Klimaanlage ausgestattet war, konnte auf die Netze nicht verzichtet werden. Neben der rechten Bettseite wuchs an der Wand ein Regal hoch, das die Form eines Tannenbaums besaß. Nach oben hin verjüngte es sich immer mehr, und die Bretter waren mit Büchern vollgestopft. Sie kümmerten ihn nicht. Er bückte sich und griff unter sein Kopfkissen. Kleine Kinder legen ihre Stofftiere oder ihre Puppen unter die Kissen. Da reagierte er ebenso.
Endlich hielt er den Wächter fest. Diese kleine Holzpuppe, deren Gesicht seine Züge zeigte. Er preßte sie an die Brust, lächelte und freute sich wie verrückt.
»Endlich habe ich dich. Endlich bist du bei mir. Jetzt kann mir nichts mehr passieren!« Er stieß die Worte hektisch aus, bewegte seine Augenlider und spürte wieder Tränen über seinen Wangen laufen. Dann drehte er sich um.
Noch in der Bewegung hörte er das Quietschen, als die Tür zum Schlaf räum aufgedrückt wurde.
Nur sehr langsam glitt sie in das Zimmer hinein. Die Öffnung vergrößerte sich immer weiter und schuf einen entsprechenden Raum, um der Person Platz zu geben, die das Zimmer betreten wollte. Vasco rührte sich nicht vom Fleck. Er wußte nicht, wer dort auf der Schwelle stand.
Mann — Frau?
Nein, dieses grüne Schimmern, dieses leichte Wehen der spinnwebenartigen Haare — so sah kein Mensch aus. Das war er, das war der Entertainer. Das war das Böse, das Vasco immer gespürt hatte. Plötzlich rutschte ihm der Wächter aus der Hand…
***
In den folgenden Sekunden stand die Zeit still. Nichts war für Vasco zu hören, nicht einmal die Stimmen der Gäste und die Melodien der Kapelle. Die Stille war wie Eis, das auch durch die Poren des jungen Mannes kroch und ihn erstarren ließ.
Der Entertainer rührte sich ebenfalls nicht. Er wartete darauf, daß sein Gegenüber reagierte, doch Vasco stand unter einem zu großen Druck. Er konnte sich einfach nicht regen.
Das Monster betrat den Raum. Erst jetzt war es besser zu erkennen, und Vasco sah, daß es den linken Arm zurückgeschoben und nach unten gedrückt hatte.
Mit seiner Pranke umklammerte es das Handgelenk eines leblosen Körpers, den es hinter sich herschleifte. Selbst bei diesen schlechten Lichtverhältnissen sah er die dunkle Spur, die auf dem hellen Boden zurückgeblieben war.
Blut…
Vasco merkte, daß seine Angst nachließ. Er schloß die Augen, ließ sie für eine Weile zu und öffnete sie erst dan, um nachzusehen, was das Monstrum tat.
Er ging weiter…
Die Leichen schleifte es hinter sich auch dann her, als es das Bett an seinem Fußende umrundete, um auf dem direkten Weg dem jungen Mann entgegenzugehen.
Er erwartete den Entertainer!
Seltsam — keine Angst kroch durch seinen Körper. Er fühlte sich entspannt und hatte gleichzeitig den Eindruck, daß sich ihm ein Freund näherte.
Das Monstrum ließ den Arm des Toten los. Schwer und geräuschvoll fiel er auf den Boden.
Vasco nickte. Er schaute hin. Der Mensch war noch zu erkennen, aber der Körper zeigte zahlreiche tiefe Wunden, und seine Kleidung bestand nur mehr aus Fetzen.
Vasco erkannte den Mann. Es war der Wächter, auf den er kurz vor Erreichen des Hauses gestoßen war. Mitleid verspürte er nicht. Das Wesen war dicht vor ihm stehengeblieben, hob seine Pranken an und strich durch das Gesicht des jungen Mannes. Die Spitzen hinterließen auf der Haut Blutstreifen.
Er schaute in das Gesicht, das eine Landschaft aus Runen, Falten und Furchen bildete, in dem die Nase so ähnlich wie eine Schnauze gewachsen war.
Auch sie wurde von der lederartigen Haut überzogen, die bis zu den Lippen reichte.
Dazwischen schimmerte das weiße Gebiß, gesprenkelt von Blutstropfen, die fast die gleiche Farbe hatten wie die Augen. Der Entertainer stöhnte ihn an. Noch einmal streichelte er über die Wangen des jungen Mannes, der es endlich schaffte, eine Frage zu stellen. »Was willst du von mir?«
Das Monster bewegte sein Maul. Schmatzende Geräusche erklangen. An den Seiten bildeten sich kleine Blasen, die stanken, wenn sie durch den Druck zerplatzten.
»Willst du reden?«
Der Entertainer nickte. Er versuchte es, doch aus dem Maul drangen keine Sätze, nicht einmal fertige Worte, sondern nur mehr Fragmente. Und Vasco spitzte die Ohren.
Wahrscheinlich hätte ein normaler Mensch nichts verstanden, doch dieser junge Mann fühlte sich zu dem Monstrum hingezogen. Sie waren in gewisser Weise Schicksalsgenossen, und das schweißte zusammen. Zudem brauchten sie jetzt den körperlichen Kontakt.
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