Der entgrenzte Mensch
Menschen wie Du und Ich abgehandelt werden. Sie sind »Renner« bei den Einschaltquoten, weil in ihnen die zu diesen Problemen gehörenden Hass-, Neid- und Eifersuchtsgefühle, weil Habgier und Intoleranz, Generationenkonflikte und Liebesleid in Szene gebracht und - stellvertretend - ausgelebt werden.
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VON DER ENTGRENZUNG DER REALITÄT ZUR ENTGRENZUNG DER REALITÄTSPRÜFUNG
Elektronische Medien, so wurde im vorangegangenen Kapitel gezeigt, sind heute eine wesentliche Voraussetzung für die Entgrenzung der Realität mittels inszenierter Wirklichkeiten. Dabei lassen sich positive, aber auch sehr fragwürdige Wirkungen auf den Menschen beobachten. Ob nun Realität über die Tätigkeit der eigenen Fantasie oder über die konsumierte Fantasie in Gestalt von medial inszenierten Wirklichkeiten entgrenzt wird - in der Regel bleibt in beiden Fällen die Realitätskontrolle intakt, d.h. die Menschen wissen sehr wohl, was inszenierte und was nichtinszenierte Wirklichkeit ist. Manchen ist auch durchaus bewusst, dass Sie sich aus Angst vor einer unerträglichen oder frustrierenden Realität am liebsten nur noch in inszenierten Wirklichkeiten aufhalten und deshalb die meiste Zeit auf einen TV-, PC-, Video- oder Handy-Monitor schauen. Die elektronischen Medien ermöglichen jedoch noch eine andere Art von Entgrenzung der Realität, nämlich die Simulation von Wirklichkeit und das Erzeugen von virtuellen Welten.
Anders als bei der Entgrenzung der Realität durch die Inszenierung von Wirklichkeiten ist eine wesentliche Voraussetzung für die Entgrenzung durch Simulation und virtuelle Welten , dass die Fähigkeit des Ichs zur Realitäts prüfung entgrenzt wird. Ein
guter Flugsimulator zeichnet sich dadurch aus, dass der Flugschüler zumindest vorübergehend die Fähigkeit verliert, zwischen realer und simulierter Wirklichkeit, zwischen Scheinwelt und Realität, zwischen subjektiv erlebter und äußerer Realität zu unterscheiden. Der Unterschied zwischen der Entgrenzung der Realität und der Entgrenzung der Realitäts prüfung mag in phänomenologischer und soziologischer Perspektive wenig bedeutsam erscheinen, in psychologischer Perspektive ist er es allerdings sehr wohl.
Psychologisch gesehen ist die Realitätsprüfung ein ganz zentrales Erfordernis menschlichen Lebens und Zusammenlebens. Die schwersten psychischen Erkrankungen gehen mit einer geschwächten Fähigkeit zur Realitätsprüfung einher und werden durch sie verursacht. Wenn die Unterscheidungsfähigkeit zwischen Scheinwelt, Wunschwelt, subjektiv erlebter Realität einerseits und äußerer Realität andererseits schwindet, wenn immer mehr Menschen sich nicht mehr kritisch fragen, inwieweit das eigene Wahrnehmen und Tun den Anforderungen der Realität entspringt oder der Plausibilität von suggerierten virtuellen Welten, wenn in wachsendem Maße die Art zu leben nicht mehr daraufhin überprüft wird, ob sie das Ergebnis der Möglichkeiten und Grenzen des Lebens und Zusammenlebens ist, dann sind dies Anzeichen dafür, dass die lebens- und überlebenswichtige Fähigkeit des Ichs zur Realitätsprüfung geschwächt ist.
Psychologisch gesehen hat das Ich des Menschen unter anderem die Aufgabe der Realitätsanpassung. Diese setzt die Fähigkeit voraus, die äußere und innere Realität wahrnehmen und auch erleben zu können sowie das Wahrgenommene und gefühlsmäßig Erlebte auf ihre Realitätsangemessenheit hin zu überprüfen. Natürlich spielen dabei subjektive Wertsetzungen und gesellschaftlich-kulturelle Vorgaben dessen, was als Realität angesehen wird, eine wichtige Rolle und sind solche Wertsetzungen und Vorgaben selbst auf ihre Realitätsangemessenheit hin in Frage zu stellen. Im engeren Sinne bezeichnet Realitätsprüfung zunächst nur die Fähigkeit, die Realitätsangemessenheit bestimmter subjektiver
und objektiver Vorgaben zu überprüfen, um ein realitätsangepasstes Verhalten des Ichs zu gewährleisten und verzerrte Wahrnehmungen von sich und der uns umgebenden natürlichen und menschlichen Umwelt zu vermeiden.
Die Fähigkeit zur Realitätsprüfung setzt ein »kritisches«, das heißt differenziertes Unterscheidungsvermögen unseres Ichs voraus, um von innen kommende Bedürfnisse, Wünsche, Strebungen und Wahrnehmungen abzugrenzen von Gegebenheiten, Erfordernissen und Ansprüchen der Außenwelt einerseits und von handlungsleitenden Vorstellungen des eigenen Wollens, Sollens, Dürfens und Nichtdürfens andererseits. Diese Unterscheidungsfähigkeit bildet sich
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