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Der entgrenzte Mensch

Titel: Der entgrenzte Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Funk
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anderen versucht der virtuelle Mensch die eigene virtuelle Realitätskonstruktion dadurch zu schützen, dass das Vermögen der virtuellen Welten und Persönlichkeitskonstruktionen gesteigert werden muss.
    Die virtuellen Realitäten müssen immer besser, immer schneller, immer effektiver, effizienter, wirksamer, belebender und animierender sein. Das Bedürfnis nach immer potenteren virtuellen Ersatzwelten dient, psychologisch gesehen, dazu, das Schwinden der eigenen gewachsenen Antriebskräfte zu kompensieren. Es befördert allerdings gleichzeitig das Verkümmern der menschlichen Eigenkräfte und steigert die faktische Abhängigkeit des virtuellen Menschen von virtuellen Selbst-, Kommunikations- und Realitätskonstruktionen. Das Bedürfnis nach Potenzierung der Virtualität wird in der Suchtforschung als »Toleranzerhöhung« begriffen (man braucht immer mehr, um eine bestimmte Wirkung zu erreichen); diese stellt einen wichtiger Indikator für eine potenzielle Abhängigkeitserkrankung dar und macht deutlich, dass die faktische Abhängigkeit von virtuellen Realitätskonstruktionen für eine Abhägigkeitserkrankung disponiert.

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    GRENZEN DES ENTGRENZTEN MENSCHEN
    Auf eine virtuelle Neukonstruktion des eigenen Selbst zu setzen, gründet in der Lust am Entgrenzen. Diese entzündet sich an allem, was dem Menschen und seinem Selbsterleben Grenzen setzt. Die Beseitigung der allzu begrenzten Eigen- und Antriebskräfte des Menschen und ihre Ersetzung durch eine virtuelle Selbstkonstruktion ist dabei nur ein, wenn auch wichtiger und folgenreicher Vorgang. Nicht minder wichtig und folgenreich ist das Ausblenden von ganz bestimmten Aspekten der Persönlichkeit, die dem Entgrenzungsstreben hinderlich sind. Diese lassen sich nicht einfach ersetzen, sondern nur durch Verdrängen und Verleugnen und entsprechenden Abspaltungen vom Selbsterleben ausblenden, damit dieses sich erfolgreicher neu konstruieren kann.
    Das psychische Ausblenden von Persönlichkeitsaspekten hat eine ähnliche Funktion wie das Doping bei der sportlichen Leistungsfähigkeit: Werden etwa Ängste oder Selbstzweifel vom Selbsterleben ausgeblendet, dann vermag man sein Selbst kraftvoll und selbstbewusst zu erleben und kann andere damit beeindrucken. Und doch ist ein solches Doping der Persönlichkeit wie das Doping im Sport nicht ohne Folgen. Beeinträchtigen Dopingmittel die körperliche Gesundheit noch nach Jahren, so hat auch das Ausblenden von bestimmten Persönlichkeitsaspekten Effekte, die der seelischen Gesundheit abträglich sind und deshalb Grenzen des entgrenzten Menschen sichtbar werden lassen.
Mit den ausgeblendeten Selbstzweifeln wird auch die Fähigkeit ausgeblendet, sich noch selbstkritisch sehen zu können; auch werden kritische Rückmeldungen anderer meist nur noch als Bedrohung erlebt. Es kommt zu einer gesteigerten Kritikunfähigkeit und narzisstischen Verletzlichkeit. Umgeht man bestimmte Ängste und gibt man sich stattdessen ganz furchtlos, dann entwickeln sich nur zu oft irrationale Ängste und geht die Angst mit einem um. Ausgeblendete Trauer führt zu unerklärlichen depressiven Verstimmungen und eine ausgeblendete Enttäuschungswut über die Partnerin kann zu einer anhaltenden Gefühllosigkeit ihr gegenüber führen.
    Was immer es auch ist: die Psychopathologie lehrt an zahllosen Beispielen, dass ausgeblendete Aspekte des Selbsterlebens in veränderter oder projizierter Form wiederkehren und dann vermehrt das Selbsterleben und das Zusammenleben belasten. Darum soll in den folgenden Abschnitten genauer nachgefragt werden, welche Aspekte seiner selbst der entgrenzte Mensch mit großer Regelmäßigkeit ausblendet, welche Fähigkeiten er auf diese Weise verliert und wie ihn diese Verluste schwächen und abhängig machen und so den Menschen an seine Grenzen kommen lassen.
    Im Blick auf die Gefühle als Aspekte der Persönlichkeit wurde bereits gezeigt, dass das Streben entgrenzter Menschen auf das Ausblenden des eigenen Fühlens zielt. Dieses soll ersetzt werden durch gemachte, also selbst inszenierte oder simulierte Gefühle bzw. durch ein selbstbestimmtes Mitfühlen von inszenierten oder virtuell erzeugten Gefühlen. Der große Vorteil einer solchen Entgrenzung besteht darin, dass Gefühle unabhängig von der eigenen gefühlsmäßigen Vorfindlichkeit wahrgenommen werden können, dass man erwünschte Gefühle frei wählen und unerwünschte Gefühle selbstbestimmt ausschließen und meiden kann und dass Schauspieler, Medien- und

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