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Der entgrenzte Mensch

Titel: Der entgrenzte Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Funk
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begrenzte menschliche Vermögen setzt und dieses über das emotionale Durchleben von Trennungs-und Bindungsprozessen je neu zu überschreiten versucht. An der ersten der drei im vorstehenden Kapitel ausgeführten Grenzüberschreitungen, die psychologisch als besonders wichtig, aber auch schwierig angesehen werden, sollen die Auswirkungen einer entgrenzenden Grenzüberschreitung im Einzelnen anschaulich gemacht werden. Dies geschieht durchaus in der Absicht, für eine Grenzüberschreitung unter Wahrung von Grenzen des Menschen-Möglichen zu plädieren.

GRENZENLOS GELIEBT WERDEN WOLLEN
    In den ersten Lebensjahren ist ein Leben bedingungslosen Geliebtseins wegen der außerordentlichen Hilflosigkeit des Säuglings und Kleinkinds und seiner Abhängigkeit von Bezugspersonen überlebensnotwendig. Das Abschiednehmen hiervon geht mit kognitiven und emotionalen Differenzierungsfähigkeiten einher: Die bedingungslos liebende mütterliche Bezugsperson kann zunehmend sowohl als befriedigend wie auch als versagend erlebt werden, während der bedingt liebenden väterlichen Bezugsperson immer mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Sie tritt damit nicht nur als ein Drittes zwischen mütterlicher Bezugsperson und Kind, sondern fördert ein Selbsterleben des Kindes, das sich nicht von Bewunderung nährt (die bedingungslos liebende mütterliche Bezugsperson hat alles großartig und akzeptabel zu finden); vielmehr hat das Selbsterleben des Kindes seinen Grund in der spiegelnden Anerkennung und Forderung dessen, was das Kind aus eigenem Vermögen zu leisten imstande ist.

    Diese väterliche Funktion ermöglicht eine für die weitere psychische Entwicklung entscheidende Grenzüberschreitung. Sie verhilft dazu, von einer bedingungslos liebenden mütterlichen Figur unabhängiger zu werden und auf das Selbstwerterleben seinen eigenen Kräften und Fähigkeiten vertrauen zu können. So sind es, psychologisch gesehen, vor allem zwei Voraussetzungen, die ein Kind befähigen, von dem Anspruch auf bedingungslose Liebe Abschied zu nehmen: eine ausreichend gut erlebte bedingungslose mütterliche Liebe und ein der Entwicklung des Kindes angemessenes Insistieren der Bezugspersonen auf das eigene Vermögen des Kindes. Dieses Einfordern der Eigenkräfte des Kindes geht im Alltag nicht ohne Dramatik und Auseinandersetzungen ab.
    Genau hier aber ist von entgrenzten Bezugspersonen und einer auf Entgrenzung setzenden Pädagogik Widerspruch zu erwarten: Es soll keine Szenen geben, ob es jetzt Zeit fürs Bett ist oder nicht, und es soll auch keine Auseinandersetzung darüber geben, was zu essen ist oder dass man jetzt endlich mal die Zeitung lesen möchte und keine Lust mehr hat, noch weiter vorzulesen. Kurzum: Es soll keine Kinder geben, die Probleme machen, schreien, sich weigern, zornig, widerständig, eigenwillig, trotzig, enttäuscht, wütig oder auf andere Weise unzufrieden sind. Die Auseinandersetzung mit der Grenze, die durch das partielle und zunehmende Insistieren auf einer bedingten Liebe und auf die Realisierung des eigenen kindlichen Vermögens heraufbeschworen wird, soll vermieden werden: Darum wird diese Grenzüberschreitung entgrenzend bewältigt. Die väterliche Funktion als Sinnbild der Begrenztheit bedingungsloser Liebe wird beseitigt oder ausgeblendet, um nicht mehr mit »unglücklichen« Kindern zu tun haben zu müssen.
    Eine solche Grenzüberschreitung durch Entgrenzung manifestiert sich heute vor allem auf zwei, zunächst widersprüchlich erscheinende Weisen: Entweder man gewährt den Kindern weiterhin eine uneingeschränkte bedingungslose Liebe oder man macht sie zu Partnern der Erwachsenen.

    Bei der ersten Entgrenzungsweise machen die Bezugspersonen den Kindern auch weiterhin ein umfassendes Angebot, sie zu »pampern«, was zu einer entsprechenden Anspruchshaltung bei den Kindern führt, auch »gepampert« werden zu wollen. Die Kennzeichnung »pampern« (abgeleitet von den Windeln mit dem Markennamen »Pampers« und dem englischen Wort »to pamper« = »verwöhnen«, »verhätscheln«) soll das Vermeidungsverhalten bei der Entgrenzung verdeutlichen: Es soll nichts Unangenehmes »in die Hose gehen«, sichtbar und ruchbar werden, die Umwelt belasten oder Ärger machen. Wie sieht ein solches entgrenzendes Pampern aus?
    Auf weiten Strecken hat das Pampern Ähnlichkeit mit dem bisherigen Verwöhnen von Kindern. Zielt dieses darauf ab, dem Kind keine Befriedigung zu versagen, so ist das Pampern umfassender. Es folgt der Entgrenzungslogik,

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