Der entzauberte Regenbogen
Spektrum zu erläutern, das ich hier kritisiere, erlaube ich mir, einen echten Dichter zu zitieren: Tennyson sprach von «Natur, rot an Zähnen und Klauen» ( In Memoriam , 1850). Viele glauben, diese Formulierung sei durch Darwins Entstehung der Arten angeregt worden, aber in Wirklichkeit wurde sie neun Jahre früher veröffentlicht. Am einen Ende des poetischen Spektrums stehen angeblich Thomas Hobbes, Adam Smith, Charles Darwin, T. H. Huxley und all jene, die – wie der angesehene amerikanische Evolutionsforscher George C. Williams und die heutigen Anhänger der «egoistischen Gene» – darauf hinweisen, dass die Natur tatsächlich «rot an Zähnen und Klauen» ist. Am anderen Ende finden wir den russischen Anarchisten und Prinzen Peter Kropotkin, der das Buch Gegenseitige Hilfe in der Menschen- und Tierwelt (1904) verfasste, die leichtgläubige und enorm einflussreiche amerikanische Anthropologin Margaret Mead 1 und eine ganze Reihe neuerer Autoren, die über die Vorstellung von einer genetisch egoistischen Natur entrüstet sind – ein typischer Vertreter ist Frans de Waal, Autor von Der gute Affe (1997).
De Waal ist Schimpansenexperte, und verständlicherweise liebt er seine Tiere. Er ist entsetzt über das, was er fälschlicherweise für eine neodarwinistische Neigung hält, die «hässlichen Aspekte unserer Vergangenheit als Affen» zu stark zu betonen. Manche anderen, die seine romantischen Phantasien teilen, bevorzugen seit einiger Zeit den Zwergschimpansen oder Bonobo als noch gutartigeres Vorbild. Während die großen Schimpansen häufig zu Gewalt greifen und sogar Kannibalismus betreiben, halten es die Bonobos lieber mit dem Sex. Sie kopulieren offenbar in allen denkbaren Paarungen und bei jeder Gelegenheit. Wo wir Menschen uns die Hände schütteln, haben sie Geschlechtsverkehr. Ihre Devise lautet: «make love, not war». Margaret Mead hätte ihre Freude an ihnen gehabt. Aber schon die Idee, sich Tiere wie in den Bestiarien als Vorbild zu nehmen, ist schlechte poetische Wissenschaft. Tiere sind nicht dazu da, als Vorbild zu dienen, sondern um zu überleben und sich fortzupflanzen.
Moralisten unter den Bonobofans verschlimmern diesen Irrtum noch durch eine echte Falschaussage über die Evolution. Wegen des auffälligen «Wohlfühlfaktors Sex» wird oft behauptet, Bonobos seien mit uns enger verwandt als die gewöhnlichen Schimpansen. Aber das ist nicht möglich, solange wir wie alle Fachleute anerkennen, dass Bonobos und die anderen Schimpansen untereinander enger verwandt sind als jeder von beiden mit den Menschen. Allein aufgrund dieser einfachen, unumstrittenen Voraussetzung muss man den Schluss ziehen, dass Bonobos und gewöhnliche Schimpansen im Stammbaum gleich weit von uns entfernt sind. Die Verbindung verläuft über einen Vorfahren, den sie untereinander gemeinsam haben, aber nicht mit uns. Sicher ähneln wir der einen Art in mancher Hinsicht stärker als der anderen (während wir vermutlich in anderen Aspekten der zweiten näher stehen), aber solche vergleichenden Urteile können keinerlei Ausdruck einer unterschiedlich engen entwicklungsgeschichtlichen Beziehung sein.
De Waal versucht in seinem Buch mit einer Fülle von Einzelfallberichten nachzuweisen, was eigentlich niemanden überraschen dürfte: Tiere sind manchmal nett zueinander, arbeiten zum gemeinsamen Nutzen zusammen, kümmern sich um das Wohlergehen des anderen, trösten einander in der Not, teilen die Nahrung und tun andere warmherzige gute Taten. Ich habe immer die Ansicht vertreten, dass Tiere von Natur aus tatsächlich zu einem erheblichen Teil altruistisch, kooperativ und sogar von wohl wollenden subjektiven Empfindungen geleitet sind, aber das ist eine Folge des Egoismus auf genetischer Ebene und widerspricht ihm nicht. Tiere sind manchmal freundlich und manchmal unfreundlich, denn beides kann zu verschiedenen Zeitpunkten im ureigensten Interesse der Gene sein. Genau deshalb spricht man vom «egoistischen Gen» und nicht beispielsweise vom «egoistischen Schimpansen». Den Gegensatz, den de Waal und andere konstruiert haben – zwischen den Biologen, nach deren Ansicht Menschen und Tiere von Natur aus grundsätzlich egoistisch sind, und jenen, die an ihr grundsätzlich «gutes Wesen» glauben –, gibt es nicht: Er ist schlechte Poesie.
Heute hat sich allgemein die Überzeugung durchgesetzt, dass Altruismus auf der Ebene des einzelnen Lebewesens ein Mittel sein kann, mit dem die dafür verantwortlichen Gene ihrem
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