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Der entzauberte Regenbogen

Der entzauberte Regenbogen

Titel: Der entzauberte Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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sagt – das erkennt man an seiner Behauptung, die kambrische Explosion lasse «eine weitere Neuerung erkennen», und auch an seinem Ausdruck «Weitsprung-Mutationen». Er glaubt, er müsse dem Kambrium eine Umwälzung zuschreiben. Offensichtlich hat er tatsächlich die andere Lesart im Sinn, wonach die Weitsprung-Mutationen von einem Augenblick zum nächsten ganz neue Stämme entstehen ließen.
    Ich beeile mich hinzuzufügen, dass ich die beiden Passagen zwei Büchern von Kauffman entnommen habe, die zum größten Teil interessant, kreativ und nicht von Gould beeinflusst sind. Das Gleiche gilt auch für das bewundernswerte Buch Die sechste Auslöschung (1996) von Richard Leakey und Roger Lewin. Getrübt wird der Genuss nur durch ein Kapitel mit der Überschrift «Die treibende Kraft der Evolution», das, wie die Autoren ausdrücklich einräumen, von Gould beeinflusst ist. Einige aufschlussreiche Absätze:
     
    Es war, als sei die Fähigkeit zu entwicklungsgeschichtlichen Sprüngen, die größere Neuerungen der Funktion hervorbrachten und damit die Voraussetzungen für neue Stämme schufen, am Ende des Kambriums irgendwie verloren gegangen und als habe die Triebfeder der Evolution einen Teil ihrer Kraft verloren.
    Deshalb konnte die Evolution im Kambrium größere Sprünge machen; später wäre sie demnach stärker eingeschränkt gewesen, so daß nur noch kleinere Schritte auf der Ebene der Klassen möglich waren.
     
    Das ist, wie ich bereits früher geschrieben habe, als würde ein Gärtner eine alte Eiche betrachten und verwundert feststellen: «Seltsam, dass an diesem Baum schon seit vielen Jahren keine neuen großen Äste gewachsen sind. Heutzutage findet Wachstum offenbar nur noch auf der Ebene der kleinen Zweige statt!» Man stelle sich nur vor, was ein größerer Sprung auf der Ebene der Stämme oder selbst ein «kleinerer» ( kleinerer? ) Schritt auf der Ebene der Klassen bedeuten würde. Wie gesagt: Tiere aus verschiedenen Stämmen besitzen grundverschiedene Körperbaupläne, zum Beispiel Weichtiere und Wirbeltiere oder Seesterne und Insekten. Eine Weitsprung-Mutation auf der Ebene der Stämme – das müsste bedeuten, dass ein Elternpaar zu einem Stamm gehört, und sein Junges gehört zu einem anderen. Der Unterschied zwischen Eltern und Nachkommen müsste das gleiche Ausmaß haben wie der Unterschied zwischen Schnecke und Hummer oder zwischen Seestern und Kabeljau. Ein Sprung auf der Ebene der Klassen würde bedeuten, dass ein Vogelpärchen ein Säugetier hervorbringt. Man braucht sich nur die Eltern vorzustellen, die ins Nest blicken und sich wundern, was sie da ausgebrütet haben, dann wird der komische Aspekt dieser Vorstellung offensichtlich.
    Meine Selbstsicherheit, mit der ich solche Ideen lächerlich mache, stützt sich nicht nur auf Kenntnisse über die heutigen Tiere. Wären sie die einzige Grundlage, könnte man natürlich erwidern, dass im Kambrium andere Verhältnisse herrschten. Nein, das Argument gegen Kauffmans Weitsprung-Mutationen oder Leakeys und Lewins große Sprünge ist theoretischer Natur, und es ist äußerst stichhaltig: Selbst wenn sich Mutationen von solch gigantischen Ausmaßen ereignet hätten, wären ihre Produkte nicht lebensfähig gewesen. Das ist eine grundlegende Erkenntnis, denn – auch das habe ich bereits geschrieben – so viele Wege es auch geben mag, am Leben zu sein, immer gibt es fast unendlich viel mehr Wege, tot zu sein. Eine kleine Mutation entfernt sich geringfügig von Eltern, die ihre Überlebensfähigkeit durch die Tatsache, dass sie Eltern sind, unter Beweis gestellt haben, und das Produkt einer solchen Mutation hat aus dem gleichen Grund gute Überlebensaussichten, ja es kann sogar eine Verbesserung darstellen. Eine gigantische Mutation auf der Ebene der Stämme wäre ein völliger Schuss ins Blaue. Wie gesagt: Die Weitsprung-Mutation, um die es hier geht, hätte die gleiche Größenordnung wie eine Mutation von einem Weichtier zu einem Insekt. Aber es wäre natürlich nie wirklich ein Sprung von einem Weichtier zu einem Insekt gewesen. Ein Insekt ist eine fein abgestimmte Überlebensmaschine. Hätte ein Weichtier einen neuen Stamm hervorgebracht, wäre der Sprung wie jede andere Mutation ausschließlich vom Zufall bestimmt gewesen. Und die Chance, dass eine Zufallsveränderung dieser Größenordnung zu einem Insekt oder irgendetwas anderem mit der leisesten Überlebenschance führt, ist so gering, dass man sie völlig vernachlässigen kann. Die

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