Der entzauberte Regenbogen
Voraussicht zustande, sondern durch Gene, die in Genvorräten zahlreicher werden als ihre Konkurrenten. Und leider werden Gene, die es aufmüpfigen Bakterien erlauben, sich zurückzulehnen und die selbstlose Methanproduktion ihrer Rivalen zu genießen, auf Kosten der Altruisten zahlreicher. Deshalb füllt sich die Welt immer stärker mit relativ egoistischen Bakterien, und zwar selbst dann noch, wenn die Gesamtmenge der Bakterien (und alles anderen) wegen des Egoismus sinkt. Das setzt sich sogar bis zum Aussterben fort. Wie könnte es anders sein? Es gibt keine weise Voraussicht.
Wenn Lovelock nun erwidern würde, die Bakterien erzeugten das Methan als Nebenprodukt eines anderen Vorganges, der ihnen einen Vorteil bringt, und sie sei nur zufällig für die ganze Erde nützlich, würde ich von ganzem Herzen zustimmen. Aber dann ist die ganze Gaia-Rhetorik überflüssig und irreführend. Dann braucht man nicht von Bakterien zu reden, die zum Nutzen von irgendetwas anderem als ihrem eigenen genetischen Wohlergehen tätig sind. Es bleibt die Erkenntnis, dass Individuen nur dann für das Gemeinwohl arbeiten, wenn es ihnen in den Kram passt – warum also soll man sich die Mühe machen, Gaia überhaupt ins Gespräch zu bringen? Besser denkt man über die Gene nach, denn sie sind die wirklichen, sich selbst verdoppelnden Einheiten der natürlichen Selektion, und sie gedeihen in einem Umfeld, zu dem auch das durch andere Gene geschaffene genetische Klima gehört. Ich bin gern bereit, die Vorstellung vom genetischen Klima zu verallgemeinern, sodass sie alle Gene auf der Erde einschließt. Aber das ist nicht Gaia. Gaia lenkt die Aufmerksamkeit fälschlicherweise zu stark auf das irdische Leben als Einheit. In Wirklichkeit ist das irdische Leben ein wandelbares Muster genetischer Wetterverhältnisse.
Lovelocks wichtigste Waffenschwester als Fürsprecherin von Gaia ist die amerikanische Bakteriologin Lynn Margulis. Trotz ihres streitlustigen Charakters steht sie eindeutig auf der sanften Seite des ununterbrochenen Spektrums, das ich als schlechte poetische Naturwissenschaft bezeichne. Hier ist sie, als Autorin mit ihrem Sohn Dorion Sagan:
Als Nächstes löst sich die Vorstellung auf, Evolution sei andauernde, blutige Konkurrenz zwischen Individuen, eine beliebte Verzerrung des darwinschen Begriffes vom «Überleben des Geeignetsten». An seine Stelle tritt ein neues Bild von fortgesetzter Kooperation, starker Interaktion und gegenseitiger Abhängigkeit zwischen den Lebensformen. Das Leben eroberte die Erde nicht durch Kampf, sondern durch die Bildung von Netzwerken. Die Lebensformen vermehrten sich und wurden komplexer, indem sie andere nicht einfach umbrachten, sondern in ihre Dienste stellten.
Microcosmos: Four Billion Years of Microbial Evolution (1987)
Oberflächlich betrachtet sind Margulis und Sagan hier nicht allzu weit von der Wahrheit entfernt. Aber sie lassen sich durch schlechte poetische Wissenschaft zu einer falschen Ausdrucksweise verführen. Wie ich bereits zu Beginn dieses Kapitels deutlich gemacht habe, ist das Begriffspaar «Kampf und Kooperation» ein falscher Gegensatz. Grundlegende Konflikte gibt es auf der Ebene der Gene. Aber da die Umgebungen der Gene sich gegenseitig beherrschen, ergeben sich Kooperation und «Bildung von Netzwerken» ganz automatisch als bevorzugte Ausprägungsform dieser Konflikte.
Während Lovelock ein Spezialist für die Erdatmosphäre ist, nähert sich Margulis dem Thema von der anderen Seite: Sie ist Expertin für Bakterien. Diesen Kleinstlebewesen schreibt sie zu Recht eine Hauptrolle auf der Bühne des Lebens zu. Biochemisch betrachtet gibt es eine ganze Reihe grundlegender Mechanismen, mit denen man am Leben bleiben kann, und alle werden von diesem oder jenem Bakterientyp genutzt. Ein solches Rezept haben die Eukaryonten übernommen (das sind alle Lebewesen außer den Bakterien), aber es stammt von Bakterien. Margulis vertritt seit vielen Jahren und mit großem Erfolg die Ansicht, dass die biochemischen Vorgänge in unserem Körper zum größten Teil von einstmals frei lebenden Bakterien ausgeführt werden, die heute Bewohner unserer Zellen sind. Hier ein weiteres Zitat aus dem gleichen Buch von Margulis und Sagan:
Bakterien dagegen zeigen ein breiteres Spektrum von Stoffwechselvariationen als Eukaryonten. Sie warten mit bizarren Gärungsprozessen auf, erzeugen Methan, «fressen» Stickstoff unmittelbar aus der Luft, beziehen Energie aus Schwefelperlen, lassen
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