Der entzauberte Regenbogen
beim Atmen Eisen und Mangan ausfallen, verbrennen Wasserstoff und Sauerstoff zu Wasser, wachsen in siedendem Wasser und in Salzlake, speichern Energie mit Hilfe des dunkelroten Farbstoffes Rhodopsin und so weiter … Wir dagegen nutzen nur einen ihrer vielen Stoffwechselwege zur Energieproduktion: die aerobe Zellatmung, die das Spezialgebiet der Mitochondrien ist.
Die aerobe Atmung, ein komplexes System aus biochemischen Kreisläufen und Reaktionsfolgen, das die eingefangene Sonnenenergie aus organischen Molekülen freisetzt, läuft in den Mitochondrien ab, winzigen Körperchen (Organellen), von denen es in unseren Zellen wimmelt. Margulis hat die wissenschaftliche Welt – nach meiner Überzeugung zu Recht – überzeugt, dass die Mitochondrien von Bakterien abstammen. Als ihre Vorfahren noch selbständig lebten, entwickelten sie die biochemischen Kunstgriffe, die wir aerobe Atmung nennen. Wir Eukaryonten profitieren heute von dem hoch entwickelten biochemischen Hexenwerk, weil unsere Zellen die Nachkommen der Bakterien enthalten, die es erfunden haben. Nach dieser Vorstellung erstreckt sich eine ununterbrochene Ahnenreihe von den heutigen Mitochondrien zu urzeitlichen Bakterien, die eigenständig im Meer lebten. Wenn ich «Ahnenreihe» sage, meine ich damit ganz buchstäblich, dass sich eine Bakterienzelle in zwei Zellen teilte, von denen sich mindestens eine wiederum teilte und so weiter, bis wir zu jedem einzelnen Mitochondrium in unseren Zellen gelangen, das sich immer noch regelmäßig zweiteilt.
Nach Margulis’ Ansicht waren die Mitochondrien ursprünglich Parasiten (oder Räuber – der Unterschied ist auf dieser Ebene ohne Bedeutung). Sie griffen die größeren Bakterien an, die später zur Außenhülle der Eukaryontenzelle werden sollten. Auch heute gelingt einigen parasitischen Bakterien das gleiche Kunststück: Sie bohren sich durch die Wand einer anderen Zelle, bringen sich in ihrem Inneren in Sicherheit, verschließen die Wand wieder und fressen ihr Opfer dann von innen heraus auf. Die Vorfahren der Mitochondrien entwickelten sich der Theorie zufolge von mörderischen Parasiten zu weniger aggressiven Formen, die ihren Wirt am Leben lassen, um ihn länger ausbeuten zu können. Irgendwann konnten die Wirtszellen ihrerseits von der Stoffwechseltätigkeit der Ur-Mitochondrien profitieren. Aus der räuberischen oder parasitischen Beziehung (die für eine Seite gut, für die andere schlecht war) wurde eine mutualistische (für beide Seiten gute). Je enger die Beziehung wurde, desto mehr waren beide Parteien aufeinander angewiesen, und beide gaben einzelne Teile von sich auf, weil deren Zweck vom anderen besser erfüllt wurde.
In einer darwinistischen Welt kann sich eine solche engagierte, enge Kooperation nur dann entwickeln, wenn die DNA des Parasiten «vertikal» über die Generationen des Wirtes weitergegeben wird, und zwar in das gleiche Vehikel wie dessen eigene DNA. Mitochondrien besitzen bis heute eine besondere DNA, die mit unserem «eigenen» Erbmaterial nur entfernt verwandt ist und eher dem bestimmter Bakterien ähnelt. Aber sie wird mit den Eizellen des Menschen über die Menschengenerationen hinweg weitergegeben. Parasiten, die ihre DNA auf diese Weise vertikal (das heißt von den Eltern des Wirtes zu den Kindern des Wirtes) vererben, werden weniger aggressiv und kooperieren stärker, weil alles, was für das Überleben der Wirts-DNA nützlich ist, in der Regel auch dem Überleben ihrer eigenen DNA zugute kommt. Dagegen kann die Aggressivität von Parasiten, die ihre DNA «horizontal» weitergeben (das heißt von einem Wirt zu einem anderen, der nicht unbedingt das Kind des ersten sein muss), wie beispielsweise Tollwut- oder Grippeviren, im Laufe der Zeit sogar zunehmen. Bei horizontaler Übertragung der DNA ist der Tod des Wirtes nicht unbedingt von Übel. Im Extremfall ernährt sich der Parasit im Inneren eines einzelnen Wirtes, verwandelt dessen Substanz in seine eigenen Sporen, und wenn die Wirtszelle schließlich platzt, wird die DNA des Parasiten in alle Winde zerstreut, sodass sie sich weit verbreiten kann und neue Wirtszellen findet.
Mitochondrien sind extreme Spezialisten für die vertikale Vererbung. Sie sind mittlerweile so eng an die Wirtszelle gebunden, dass wir in ihnen nur noch mühsam die früheren eigenständigen Organismen erkennen können. Mein Kollege Sir David Smith aus Oxford fand dafür einen schönen Vergleich:
Im Lebensraum der Zelle kann ein eingedrungener
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