Der entzauberte Regenbogen
und einer ganzen Reihe weiterer Eigenschaften, die ihn zu einem typischen Jäger machen. Sein Gegenüber im Rüstungswettlauf, die Antilope, ist ebenso gut dazu ausgestattet, Pflanzen zu fressen und sich dabei nicht von Raubtieren fangen zu lassen. Ein langer Darm mit komplizierten Blindsäcken, die mit Zellulose verdauenden Bakterien voll gestopft sind, geht einher mit flachen Mahlzähnen, einem Gehirnprogramm für Aufmerksamkeit und schnelle Flucht und einem Fell, das eine hervorragende Tarnung darstellt. Das sind zwei Möglichkeiten, wie man am Leben bleiben kann. Keine ist von vornherein besser als die andere, aber jede von beiden ist besser als ein unguter Kompromiss, beispielsweise der Darm eines Fleischfressers in Kombination mit Zähnen für Pflanzen oder ein räuberischer Jagdinstinkt in Verbindung mit den Verdauungsenzymen eines Pflanzenfressers.
Auch hier ist man geneigt zu behaupten, der «ganze Gepard» oder die «ganze Antilope» werde «als Einheit» selektioniert. Das ist verführerisch, aber oberflächlich. Und es zeugt auch von Faulheit. Um zu erkennen, was sich wirklich abspielt, braucht man ein wenig zusätzliche Denkarbeit. Gene, die für die Entwicklung eines Fleisch verarbeitenden Darmes sorgen, gedeihen in einem genetischen Klima, in dem Gene für die Programmierung eines Fleischfressergehirns bereits vorherrschen. Und umgekehrt. Gene, die für eine Abwehrtarnung sorgen, gedeihen in einem genetischen Klima, in dem Gene für die Programmierung eines Pflanzenfressergehirns bereits vorherrschen. Und umgekehrt. Es gibt zahllose Wege, sich seinen Lebensunterhalt zu sichern. Um nur ein paar Beispiele aus dem Bereich der Säugetiere zu nennen: Wir kennen die Lebensweise des Geparden, der Schwarzfersenantilope, des Maulwurfes, des Pavians, des Koalabären. Es gibt keine Veranlassung zu sagen, eine sei besser als die andere. Alle funktionieren. Ungünstig ist es nur, wenn sich die Hälfte der angepassten Eigenschaften für eine Lebensweise eignet und die zweite Hälfte für eine andere.
Solche Argumente lassen sich am besten auf der Ebene einzelner Gene formulieren. An jedem genetischen Locus wird mit größter Wahrscheinlichkeit dasjenige Gen begünstigt, das sich mit dem von den anderen Genen geschaffenen genetischen Klima verträgt und in diesem Umfeld über mehrere Generationen hinweg überlebt. Da das gleiche Prinzip auf jedes einzelne Gen zutrifft, das zu dem Klima beiträgt – man kann auch sagen: da jedes Gen ein Teil des Klimas jedes anderen sein kann –, entwickelt sich der Genvorrat einer Spezies in der Regel zu einer Gruppe gegenseitig verträglicher Partner. Es tut mir Leid, dass ich so auf diesem Punkt herumreiten muss, aber einige meiner geschätzten Kollegen weigern sich, das Prinzip zur Kenntnis zu nehmen; sie beharren hartnäckig darauf, das «Individuum» sei die «eigentliche Einheit» der natürlichen Selektion!
Die weiter gefasste Umwelt, in der ein Gen überleben muss, schließt auch die anderen Arten ein, mit denen es in Berührung kommt. Allerdings kommt es nicht zum unmittelbaren Kontakt zwischen der DNA einer Spezies und den DNA-Molekülen ihrer Verfolger, Konkurrenten oder kooperierenden Partner. Unter «Klima» müssen wir hier etwas weniger Enges verstehen als im Inneren der Zelle, wo die Gene einer einzigen Art kooperieren. In dem größeren Umfeld stellen die Wirkungen der Gene anderer Arten – ihre «phänotypischen Effekte» – einen Teil der Umgebung dar, in der sich die natürliche Selektion der Gene benachbarter Arten abspielt. Ein Regenwald ist eine besondere Umwelt, gestaltet und definiert durch die Pflanzen und Tiere, die darin leben. Jede Spezies in einem tropischen Regenwald besteht aus einem Genvorrat, der im Hinblick auf die sexuelle Vermischung von allen anderen Genvorräten isoliert ist, aber mit ihren körperlichen Auswirkungen in Berührung kommt.
Wie wir gesehen haben, begünstigt die natürliche Selektion in jedem Genvorrat diejenigen Gene, die dort gut kooperieren können. Sie begünstigt aber auch Gene, die mit den Auswirkungen anderer Genvorräte im Regenwald gut zurechtkommen – mit den Bäumen, Lianen, Affen, Mistkäfern, Asseln und Bodenbakterien. Auf lange Sicht führt das unter Umständen dazu, dass der ganze Wald wie ein harmonisches Ganzes aussieht, in dem jede Einheit zum Wohl des Ganzen arbeitet, als ob jeder Baum und jede Milbe, aber auch jeder Räuber und jeder Parasit ihre Rolle in einer einzigen großen, glücklichen Familie
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