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Der entzauberte Regenbogen

Der entzauberte Regenbogen

Titel: Der entzauberte Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Organismus nach und nach Teile seiner selbst verlieren und sich immer stärker in den allgemeinen Hintergrund einfügen, bis nur noch irgendein Überbleibsel sein früheres Dasein verrät. Man fühlt sich sogar an Alice im Wunderland und ihre Begegnung mit der Cheshirekatze erinnert. Während sie die Katze ansah, «verschwand sie ganz langsam, angefangen beim Schwanz, und am Ende, nachdem alles andere fort war, blieb nur ihr Grinsen noch einige Zeit erhalten». In einer Zelle gibt es eine ganze Reihe von Gebilden, die dem Grinsen der Cheshirekatze gleichen. Will man ihren Ursprung ergründen, ist dieses Grinsen wirklich anregend und rätselhaft.
    The Cell as Habitat (1979)
     
    In meinen Augen besteht kein großer Unterschied zwischen der Beziehung von Mitochondrien- und Wirts-DNA auf der einen Seite und dem Verhältnis zwischen den einzelnen Genen im normalen, artspezifischen Genvorrat auf der anderen Seite. Nach meiner Überzeugung sollten wir alle unsere «arteigenen» Gene als gegenseitige Parasiten betrachten.
    Das zweite grinsende Überbleibsel, das heute eigentlich nicht mehr umstritten ist, sind die Chloroplasten, kleine Körperchen in den Pflanzenzellen, die für die Photosynthese zuständig sind – sie speichern die Sonnenenergie, indem sie mit ihrer Hilfe organische Moleküle aufbauen. Diese organischen Moleküle werden später bei Bedarf wieder abgebaut, und die Energie wird auf kontrollierte Weise freigesetzt. Chloroplasten geben den Pflanzen ihre grüne Farbe. Heute hat sich allgemein die Ansicht durchgesetzt, dass sie von photosynthetisch aktiven Bakterien abstammen, Vettern der Cyanobakterien (blaugrünen Algen), die noch heute frei umherschwimmen und für die «Algenblüte» in verschmutzten Gewässern verantwortlich sind. Die Photosynthese läuft in diesen Bakterien und in eukaryontischen Zellen (das heißt in ihren Chloroplasten) gleich ab. Die Chloroplasten, so Margulis, wurden auf andere Weise eingefangen als die Mitochondrien. Während die Vorfahren der Mitochondrien aggressiv in größere Wirtszellen eindrangen, wurden die Vorfahren der Chloroplasten zur Beute: Die größeren Zellen nahmen sie ursprünglich als Nahrung in sich auf, und erst später entwickelten sie mit ihrem Gefängnis eine Beziehung zum gegenseitigen Nutzen, zweifellos auch hier, weil ihre DNA vertikal über die Generationen der Wirtszelle weitergegeben wurde.
    Stärker umstritten ist ein weiterer Punkt in der Theorie von Margulis: Danach drangen Bakterien eines dritten Typs, nämlich die spiralförmig schwimmenden Spirochäten, in die frühe Eukaryontenzelle ein und trugen dort zur Bildung beweglicher Strukturen bei, etwa der Cilien, der Flagellen und des «Spindelapparats», der die Chromosomen bei der Zellteilung auseinander zieht. Cilien und Flagellen sind nur unterschiedlich große Versionen der gleichen Konstruktion, und Margulis bezeichnet sie lieber beide als «Undulipodien». Die Bezeichnung «Flagelle» will sie für die oberflächlich ähnliche, in Wirklichkeit aber ganz anders gebaute peitschenähnliche Struktur vorbehalten wissen, mit der sich manche Bakterien vorwärts schrauben. Die Flagelle der Bakterien ist übrigens eine bemerkenswerte Struktur, denn zu ihr gehört das einzige echte Lager mit einer rotierenden Achse, das man überhaupt bei Lebewesen findet. Sie ist in der Natur das einzige wirkliche Beispiel für «das Rad» oder zumindest seine Achse, bevor es von den Menschen erfunden wurde. Cilien und andere Undulipodien der Eukaryontenzelle sind komplizierter gebaut. Margulis setzt jedes einzelne Undulipodium mit einer ganzen Spirochätenzelle gleich, ganz ähnlich, wie sie auch in jedem Mitochondrium und jedem Chloroplasten ein ganzes Bakterium sieht.
    Das Prinzip, dass Bakterien durch ihr Zusammenwirken ein schwieriges biochemisches Kunststück zuwege bringen, ist auch in der jüngeren Evolutionsgeschichte vielfach zu erkennen. Tiefseefische besitzen Leuchtorgane, mit denen sie sich verständigen und sogar orientieren. Statt sich aber selbst an die schwierige chemische Aufgabe der Lichterzeugung zu machen, haben sie Bakterien rekrutiert, die auf diese Tätigkeit spezialisiert sind. Das Leuchtorgan eines solchen Fisches ist ein Beutel voller sorgfältig herangezüchteter Bakterien, die als Nebenprodukt ihrer eigenen biochemischen Vorgänge Licht abgeben.
    Damit haben wir eine ganz neue Sichtweise für das einzelne Lebewesen. Tiere und Pflanzen treten nicht nur untereinander, mit Individuen anderer Arten

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