Der entzauberte Regenbogen
von Mixotricha ist also eine Kolonie aus mindestens einer halben Million verschiedenartiger Bakterien. Eine einzelne Termite ist unter dem Gesichtspunkt ihrer Funktion als Holzabbauapparat eine Kolonie aus vielleicht ebenso vielen symbiontischen Darmbewohnern. Dabei darf man nicht vergessen, dass die Termite neben diesen erst «kürzlich» eingedrungenen Mitgliedern ihrer Darmflora auch in ihren «eigenen» Zellen wie alle Eukaryonten wiederum Kolonien viel älterer Bakterien enthält. Und schließlich sind die Termiten selbst etwas Besonderes: Sie leben in gewaltigen Kolonien, die vorwiegend aus unfruchtbaren Arbeitern bestehen und eine Landschaft nachhaltiger verwüsten können als praktisch alle anderen Tiere mit Ausnahme der Ameisen – und die sind aus den gleichen Gründen so erfolgreich. Ein Bau von Mastotermes kann bis zu einer Million Arbeitertermiten enthalten. Die Spezies ist in Australien ein gefürchteter Schädling: Sie lässt Telefonmasten umstürzen, zerstört die Kunststoffummantelung von Elektrokabeln und befällt Holzhäuser und -brücken, ja sogar Billardkugeln. Die Kolonie aus Kolonien aus Kolonien ist offenbar ein höchst erfolgreiches Überlebenskonzept.
Aber jetzt möchte ich zum Blickwinkel der Gene zurückkehren und die Idee von der universellen Symbiose – dem «Zusammenleben» – zu ihrem logischen Ende führen. Margulis gilt zu Recht als die Hohepriesterin der Symbiose. Wie ich bereits erwähnt habe, würde ich noch einen Schritt weitergehen und alle «normalen» Gene im Zellkern ebenso als Symbionten betrachten wie die Gene der Mitochondrien. Aber wo sich Margulis und Lovelock auf die Poesie von Kooperation und Freundlichkeit als wichtigstem Merkmal der Vereinigung berufen, beziehe ich den entgegengesetzten Standpunkt und betrachte sie als sekundäre Folgen. Auf genetischer Ebene herrscht ausschließlich Egoismus, aber den egoistischen Zielen der Gene dient die Kooperation auf vielen Ebenen. Was die Gene selbst betrifft, unterscheidet sich die Beziehung zwischen unseren «arteigenen» Genen nicht grundlegend von der zwischen unseren Genen und denen der Mitochondrien oder unseren Genen und den Genen anderer Arten. Alle Gene werden aufgrund ihrer Fähigkeit selektioniert, in Gegenwart anderer Gene – gleich welcher Spezies – zu gedeihen, von deren Auswirkungen sie umgeben sind.
Das Zusammenwirken der Gene in einem Genvorrat beim Aufbau eines komplizierten Organismus wird oft als Koadaptation bezeichnet, um es von der gemeinsamen Evolution oder Koevolution zu unterscheiden. Mit Koadaptation meint man in der Regel, dass einzelne Teile bei der gleichen Art von Lebewesen auf andere Teile abgestimmt werden. So sind beispielsweise viele Blüten leuchtend gefärbt, um Insekten anzulocken, und gleichzeitig haben sie dunkle Linien, die als Wegweiser dienen und die Insekten zum Nektar führen. Farbe, Linien und Nektarbehälter unterstützen einander. Sie sind koadaptiert, weil die Gene zu ihrer Herstellung in Gegenwart der jeweils anderen selektioniert wurden. Von Koevolution dagegen spricht man normalerweise im Zusammenhang mit der gemeinsamen Evolution verschiedener Arten. Die Blüten haben sich gemeinsam mit den Insekten entwickelt, von denen sie bestäubt werden – beide haben eine Koevolution durchgemacht. In diesem Fall hat sich durch die Koevolution eine für beide Seiten nützliche Beziehung entwickelt. Als Koevolution bezeichnet man aber auch die Entstehung eines feindlichen Verhältnisses – die gemeinsame Entwicklung eines «Rüstungswettlaufes». Die Fähigkeit von Raubtieren, schnell zu laufen, erlebt eine Koevolution mit der Fähigkeit ihrer Beute, schnell zu laufen. Ein dicker Panzer entwickelt sich parallel zu den Waffen und Methoden, mit denen er geknackt werden kann.
Gerade habe ich zwar deutlich zwischen der Koadaptation «innerhalb einer Art» und der Koevolution «zwischen den Arten» unterschieden, aber wie man jetzt leicht erkennt, ist eine gewisse Verwirrung durchaus verzeihlich. Wenn wir – wie ich in diesem Kapitel – den Standpunkt vertreten, dass Wechselwirkungen zwischen Genen auf allen Ebenen nur Wechselwirkungen zwischen Genen sind, erweist sich die Koadaptation nur als Sonderfall der Koevolution. Was die Gene selbst betrifft, bedeutet «innerhalb der Art» nichts grundlegend anderes als «zwischen den Arten». Die Unterschiede sind praktischer Natur. Innerhalb einer Art treffen unterschiedliche Gene im Zellinneren aufeinander. Zwischen den Arten begegnen
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