Der entzauberte Regenbogen
vorstellen, man sei eine Münze, die ihre Erlebnisse erzählt: wie man eine Zeit lang bei der Bank in der Kasse liegt, wie man an einen Kunden ausgezahlt wird, wie es sich anfühlt, in seiner Tasche mit den anderen Münzen herumzuklimpern, wie man ausgegeben wird, weil er etwas kauft, wie man dann als Wechselgeld zu einem anderen Kunden gelangt, und dann … nun, der eine oder andere hat vielleicht selbst einen ähnlichen Aufsatz geschrieben. Ganz ähnlich kann man sich auch den Weg eines Gens vorstellen: Es wandert zwar nicht von Tasche zu Tasche, aber von Körper zu Körper, von einer Generation zur nächsten. Der Vergleich mit der Münze macht zunächst einmal deutlich, dass man die Personifizierung des Gens natürlich nicht wörtlich nehmen darf, genau wie wir auch als Siebenjährige nicht glaubten, dass Münzen wirklich sprechen können. Personifizierung ist manchmal ein nützliches Hilfsmittel, und der Vorwurf der Kritiker, wir nähmen sie wörtlich, ist fast ebenso dumm, als wenn man sie tatsächlich wörtlich nähme. Auch Physiker erliegen dem Charme der Elementarteilchen nicht im wörtlichen Sinne, und der Kritiker, der ihnen das vorwirft, ist ein langweiliger Pedant.
Das «prägende» Erlebnis eines Gens ist die Mutation, bei der es durch Abwandlung eines früheren Gens entsteht. Von den vielen Kopien des Gens in der Population verändert sich nur eine (jedenfalls durch ein einzelnes Mutationsereignis – zu einem anderen Zeitpunkt kann sich durch die gleiche Mutation aber auch eine weitere Kopie des Gens im Genvorrat verändern). Alle anderen bringen weiterhin Kopien des ursprünglichen Gens hervor, und diese stehen nun mit der mutierten Form im Wettbewerb. Die Fähigkeit, von sich selbst Kopien herzustellen, beherrschen Gene im Gegensatz zu Münzen ganz hervorragend, und unser Tagebuch eines Gens muss nicht über die Erfahrungen der einzelnen Atome berichten, aus denen sich die DNA zusammensetzt, sondern über die Erlebnisse der DNA in Form der vielen Kopien in aufeinander folgenden Generationen. Wie ich im letzten Kapitel deutlich gemacht habe, bestehen die «Erfahrungen» eines Gens in früheren Generationen zu einem großen Teil daraus, dass es gegenüber anderen Genen der Spezies gestärkt wurde, und das ist der Grund, warum alle bei ihrem gemeinsamen Unternehmen, einen Körper aufzubauen, so friedlich zusammenarbeiten.
Jetzt können wir uns fragen, ob alle Gene einer biologischen Art die gleichen alten «Erfahrungen» haben. In der Regel ist das so. Die meisten Büffelgene können auf eine lange Reihe von Büffelkörpern zurückblicken, die gemeinsam erfreuliche oder unerfreuliche Büffelerfahrungen gemacht haben. Bei den Körpern, in denen diese Gene überlebt haben, handelte es sich um männliche und weibliche Büffel, große und kleine Büffel und so weiter. Einige Untergruppen der Gene, beispielsweise diejenigen, die über das Geschlecht bestimmen, haben andere Erfahrungen hinter sich. Bei Säugetieren besitzen nur Männchen ein Y-Chromosom, und dieses tauscht keine Gene mit anderen Chromosomen aus. Der Erfahrungsbereich eines Gens auf dem Y-Chromosom beschränkt sich also auf weniger Büffelkörper: nämlich nur auf die Männchen. Seine Erfahrungen sind zum größten Teil allgemein typisch für Büffelgene, aber nicht in vollem Umfang. Im Gegensatz zu den meisten Büffelgenen wissen sie nicht, was es bedeutet, sich in einem Büffelweibchen zu befinden. Ein Gen, das seit der Entstehung der Säugetiere im Dinosaurierzeitalter immer auf dem Y-Chromosom gelegen hat, verfügt zwar über Erfahrungen in den männlichen Körpern vieler verschiedener Arten, aber es hat nie einen weiblichen Körper erlebt. Bei den X-Chromosomen liegen die Verhältnisse komplizierter. Männliche Säugetiere besitzen ein X-Chromosom (das von der Mutter ererbt wird, während das Y-Chromosom vom Vater stammt), Weibchen haben zwei X-Chromosomen (von jedem Elternteil eines). Ein Gen auf dem X-Chromosom hat also weibliche und männliche Körper erlebt, aber zwei Drittel seiner Erfahrungen hat es in weiblichen Körpern gemacht. Bei Vögeln herrschen die umgekehrten Verhältnisse. Hier hat das Weibchen zwei verschiedene Geschlechtschromosomen (die wir analog zu den Säugetieren ebenfalls als X und Y bezeichnen können, auch wenn die offizielle Terminologie bei Vögeln eine andere ist), und bei Männchen sind beide gleich (XX).
Alle Gene auf den anderen Chromosomen hatten in männlichen und weiblichen Körpern gleich viele
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