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Der entzauberte Regenbogen

Der entzauberte Regenbogen

Titel: Der entzauberte Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Erlebnisse, aber in anderer Hinsicht können sich ihre Erfahrungen unterscheiden. Mehr als den ihm zustehenden Anteil der Zeit hat ein Gen in Körpern verbracht, welche die von ihm codierten Eigenschaften besitzen – lange Beine, dicke Hörner oder was auch immer. Das gilt insbesondere, wenn es sich um ein dominantes Gen handelt. Fast ebenso klar liegt auf der Hand, dass alle Gene einen größeren Teil ihrer Lebenszeit in erfolgreichen Körpern verbracht haben als in weniger erfolgreichen. Es gibt eine Fülle solcher erfolglosen Körper, und auch sie enthalten eine vollständige Genausstattung. Aber sie haben in der Regel keine Nachkommen (das macht ihre Erfolglosigkeit aus), und wenn ein Gen auf seine Laufbahn in verschiedenen Körpern zurückblickt, wird es feststellen, dass sie tatsächlich alle (im Sinne dieser Definition) erfolgreich waren, und wahrscheinlich waren die meisten von ihnen (aber nicht alle) auch mit den Voraussetzungen ausgestattet, die normalerweise für den Erfolg notwendig sind. Die Einschränkung kommt daher, weil sich gelegentlich auch Individuen fortpflanzen, die aufgrund ihrer Ausstattung eigentlich nicht erfolgreich sein können. Und andererseits werden auch Individuen, die hervorragend ausgestattet sind, sodass sie unter durchschnittlichen Bedingungen überleben und Nachkommen haben würden, manchmal vom Blitz getroffen.
    Wenn es sich um eine Art handelt, bei der die Männchen eine Dominanzhierarchie bilden und die beherrschenden Individuen für den größten Teil der Fortpflanzung sorgen (wie bei manchen Hirschen, Robben und Affen), haben die Gene dieser Spezies in den Körpern dominanter Männchen mehr Erfahrungen als in denen, die auf den unteren Stufen stehen. (Ich verwende den Begriff «dominant» hier nicht mehr in dem genetisch-fachsprachlichen Sinn als Gegenteil von «rezessiv», sondern wie in der Umgangssprache, wo sein Gegenteil «untergeordnet» heißt.) In jeder Generation besitzen die meisten Männchen eine untergeordnete Stellung, aber ihre Gene blicken auf eine starke Reihe dominanter männlicher Vorfahren zurück. In jeder Generation hat die Mehrzahl der Tiere eine dominante Minderheit der vorherigen Generation zum Vater. Das Gleiche gilt für Arten wie die Fasanen, wo nach unserer heutigen Kenntnis vorwiegend die (in den Augen der Weibchen) schönen Männchen für die Befruchtung sorgen: Die meisten Gene können auf eine lange Reihe schöner männlicher Vorfahren zurückblicken, ganz gleich, ob sie sich heute in weiblichen Tieren oder in hässlichen oder schönen Männchen befinden. Gene haben mit erfolgreichen Körpern mehr Erfahrung als mit erfolglosen.
    Soweit die Gene einer Spezies regelmäßig wiederkehrende Erfahrungen mit Körpern in untergeordneter Stellung haben, können wir bei ihnen mit Strategien rechnen, durch die sie unter solchen Bedingungen «das Beste aus der Situation machen». Bei Arten, deren erfolgreiche Männchen aggressiv einen großen Harem verteidigen, fallen manchmal untergeordnete Männchen auf, die sich mit anderen, «hinterlistigen» Strategien vorübergehend Zugang zu den Weibchen verschaffen. Zu den Tieren mit der am stärksten ausgeprägten Haremsgesellschaft gehören die Robben. In manchen Populationen entfallen 90 Prozent aller Kopulationsereignisse auf weniger als 10 Prozent der Männchen. In ihrer Mehrzahl sind die Männchen Junggesellen; sie warten darauf, einen der Haremsbesitzer zu entthronen, und in der Zwischenzeit achten sie sehr darauf, eine Gelegenheit zur Kopulation mit vorübergehend nicht bewachten Weibchen zu ergattern. Aber damit eine solche männliche Alternativstrategie von der natürlichen Selektion begünstigt werden konnte, musste es ein nennenswertes Rinnsal von Genen geben, die über solche verstohlenen Kopulationsereignisse durch die Generationen gesickert sind. In unserem Bild vom «Tagebuch eines Gens» halten demnach manche Gene auch ihre früheren Erfahrungen mit untergeordneten Männchen fest.
    Man darf sich durch das Wort «Erfahrungen» nicht in die Irre führen lassen. Damit meine ich nicht nur, dass der Begriff nicht wörtlich, sondern im übertragenen Sinn zu verstehen ist – das, so hoffe ich, liegt auf der Hand. Weniger offensichtlich ist, dass wir eine viel aufschlussreichere Metapher erhalten, wenn wir uns nicht ein einzelnes Gen, sondern den Genvorrat einer Art als das Gebilde vorstellen, das Erfahrungen aus seiner Vergangenheit bezieht. Das ist ein weiterer Aspekt unserer Lehre vom «egoistischen

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