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Der entzauberte Regenbogen

Der entzauberte Regenbogen

Titel: Der entzauberte Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Kooperator». Ich möchte noch einmal ausdrücklich klarstellen, was ich mit der Aussage meine, eine Art oder ihr Genvorrat lerne aus Erfahrungen. Die Spezies wandelt sich in entwicklungsgeschichtlichen Zeiträumen. In jeder einzelnen Generation besteht sie natürlich aus denjenigen Individuen, die zu der jeweiligen Zeit am Leben sind. Und diese Menge verändert sich, weil neue Angehörige der Art geboren werden und alte sterben. Man kann noch nicht davon sprechen, dass eine solche Veränderung selbst von Erfahrungen profitiert, aber die statistische Verteilung der Gene in der Population kann sich systematisch in eine bestimmte Richtung bewegen, und das ist die «Erfahrung der Spezies». Wenn eine Eiszeit naht, wird man immer mehr Individuen mit dickem Fell beobachten. Die Exemplare, die zufällig in einer Generation den dichtesten Pelz besitzen, tragen in der Regel überdurchschnittlich stark zur Zahl der Nachkommen und damit zur Zahl der Gene für starke Behaarung in der nächsten Generation bei. Die Genausstattung der gesamten Population – und damit auch die Ausstattung für ein typisches, durchschnittliches Individuum – verschiebt sich in Richtung einer immer größeren Zahl von Genen für dichte Behaarung. Das Gleiche spielt sich bei anderen Genen ab. Im Laufe der Generationen wird die Gesamtmenge aller Gene einer Spezies – ihr Genvorrat – zurechtgestutzt, geknetet und geformt, sodass sie immer besser erfolgreiche Individuen hervorbringen kann. Das meine ich, wenn ich sage, die Spezies lerne aus ihren Erfahrungen beim Aufbau guter Körper, und sie speichere ihre Erfahrungen in codierter Form im Genvorrat. Arten sammeln ihre Erfahrungen in erdgeschichtlichen Zeiträumen. Die Informationen, die in solchen Erfahrungen abgespeichert werden, beziehen sich auf die Umwelt früherer Zeiten und auf die Frage, wie man in ihr überlebt.
    Eine Spezies ist ein Computer zur Berechnung von Durchschnittswerten. Sie baut im Laufe der Generationen eine statistische Beschreibung der Umweltverhältnisse auf, unter denen die Vorfahren ihrer heutigen Angehörigen gelebt und sich fortgepflanzt haben. Diese Beschreibung ist in der Sprache der DNA niedergelegt, aber sie befindet sich nicht im Erbmaterial eines einzigen Individuums, sondern in den Genen – den egoistischen Kooperatoren – der gesamten fortpflanzungsfähigen Population. Wenn wir den Körper eines Tieres finden, eine neue Spezies, die in der Wissenschaft bisher nicht bekannt war, kann ein qualifizierter Zoologe, der ihn seziert und in allen Einzelheiten untersucht, Aufschlüsse über die Umwelt gewinnen, in der seine Vorfahren lebten: Wüste, Regenwald, arktische Tundra, Waldgebiet mit gemäßigtem Klima oder Korallenriff. An Zähnen und Darm kann der Zoologe auch ablesen, wovon es sich ernährte. Flache Mahlzähne und ein langer Darm mit Blindsäcken weisen auf einen Pflanzenfresser hin; scharfe Reißzähne und ein kurzer, unkomplizierter Darm kennzeichnen einen Fleischfresser. Die Füße des Tieres sowie seine Augen und anderen Sinnesorgane lassen erkennen, wie es sich fortbewegte und seine Nahrung fand. Streifen oder Flecken, Hörner, Geweih oder Kamm liefern dem erfahrenen Betrachter Anhaltspunkte für das Sozial- und Sexualleben des gefundenen Tieres.
    Aber die Zoologie hat noch viel vor sich. Bisher lässt sich aus dem Körper einer neu entdeckten Spezies nur so viel «ablesen», dass wir ein grobes, qualitatives Urteil über ihre vermutliche Umwelt und Lebensweise abgeben können. Die Zoologen der Zukunft werden wesentlich mehr anatomische und chemische Daten eines Tieres in den Computer eingeben, der sie dann «liest». Und was noch wichtiger ist: Wir werden die Daten nicht getrennt erheben. Vielmehr werden wir mathematische Verfahren vervollkommnen, mit denen sich Erkenntnisse über Zähne, Darm, chemische Vorgänge im Magen, Farbsignale und Waffen, Blut, Knochen, Muskeln und Bänder zusammenfassen lassen, sodass man die Wechselbeziehungen zwischen diesen Messwerten analysieren kann. Der Computer wird alles, was wir über den Körper des seltsamen Tieres wissen, zusammenführen und ein detailliertes, quantitatives Modell der Welt liefern, in der seine Vorfahren überleben konnten. Das, so scheint mir, ist gleichbedeutend mit der Aussage, das Tier – und zwar jedes Tier – sei ein Modell bzw. eine Beschreibung seiner eigenen Welt, oder genauer: der Umgebungen, in denen die Gene seiner Vorfahren der natürlichen Selektion unterworfen waren.
    In seltenen

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