Der entzauberte Regenbogen
Fällen ist der Körper eines Tieres sogar eine Beschreibung der Welt im buchstäblichen Sinn einer bildlichen Darstellung. Ein Insekt, das wie ein Zweig aussieht, lebt in einer Welt aus Zweigen, und sein Körper ist das Abbild eines Zweiges mit den Ansatzstellen abgefallener Blätter, Knospen und so weiter. Ein Rehkitz trägt auf seinem gefleckten Fell das Muster der Sonnenstrahlen, die zwischen den Blättern auf den Waldboden fallen. Ein Birkenspanner ist das Abbild der Flechten auf der Baumrinde. Aber wie Kunst, die nicht naturalistisch abbilden muss, so geben auch Tiere ihre Welt häufig auf andere Weise wieder, beispielsweise impressionistisch oder mit Symbolen. Ein Künstler, der dem schnellen Fliegen dramatischen Ausdruck verleihen will, schafft das kaum besser als ein Mauersegler mit seinem charakteristischen Körperbau. Vielleicht ist das der Grund, warum wir die Stromlinienform intuitiv begreifen; vielleicht haben wir uns deshalb an die pfeilförmige Schönheit moderner Düsenflugzeuge gewöhnt; vielleicht besitzen wir aus diesem Grund gewisse Kenntnisse über die Physik von Turbulenzen und die Reynolds-Zahlen, sodass wir sagen können, die Form des Mauerseglers enthalte verschlüsselte Aussagen über die Viskosität der Luft, in der seine Vorfahren unterwegs waren. Wie dem auch sein mag: Wir erkennen, dass der Mauersegler in die Welt der schnellen Luftströmungen passt wie eine Hand in den Handschuh, und dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn wir im Gegensatz dazu das schwerfällige Stolpern eines Mauerseglers sehen, der auf dem Boden gestrandet ist und nicht mehr abheben kann.
Ein Maulwurf hat nicht buchstäblich die Form eines unterirdischen Tunnels. Er ist vielleicht eine Art Negativabbild eines Tunnels, das sich durch einen solchen Gang hindurchwinden kann. Seine Hände gleichen nicht dem Boden, aber sie ähneln Schaufeln, in denen wir aufgrund unserer Erfahrung oder Intuition das funktionelle Gegenstück zum Boden sehen können: Sie werden von kräftigen Muskeln bewegt und arbeiten der Erde entgegen. Man kennt noch verblüffendere Beispiele, bei denen ein Tier oder ein Körperteil eines Tieres nicht buchstäblich seiner Welt gleicht, sondern wie ein Handschuh zu einem Element dieser Welt passt. Der gewundene Leib eines Einsiedlerkrebses ist die verschlüsselte Wiedergabe der Schneckenhäuser, in denen die Gene seiner Vorfahren zu Hause waren. Oder wir können auch sagen: Die Gene des Einsiedlerkrebses enthalten eine codierte Vorhersage über einen Aspekt der Umwelt, in der sich ein solcher Krebs zurechtfinden muss. Da die heutigen Schnecken im Durchschnitt den Schnecken früherer Zeiten gleichen, passen die Einsiedlerkrebse nach wie vor zu ihnen und überleben – wie vorhergesagt.
Verschiedene Arten winziger Milben sind darauf spezialisiert, sich an einer ganz bestimmten Stelle auf der Innenseite der pinzettenartigen Kieferzangen einer ganz bestimmten Gruppe von Ameisenarbeiterinnen anzusiedeln, die ihre Kolonie verteidigen. Eine andere Milbenart hat sich auf das erste Gelenk der Antennen solcher Ameisen spezialisiert. Alle diese Milben sind so geformt, dass sie genau zu ihrem jeweiligen Lebensraum passen wie ein Schlüssel in sein Schloss (wie Professor C. W. Rettenmeyer mir – zu meinem Bedauern – mitteilte, gibt es keine getrennten Milbenarten für die linke und rechte Antenne). Genau wie ein Schlüssel, der eine (ergänzende oder negative) Information über sein Schloss verkörpert (denn ohne diese Information lässt sich die Tür nicht öffnen), so verkörpert auch die Milbe Informationen über ihre Umwelt, in diesem Fall über die Form des Insektengelenks, in dem sie zu Hause ist. (Parasiten sind häufig hoch spezialisierte Schlüssel, die viel genauer in die Schlösser ihres Wirtes passen als jeder natürliche Feind, vermutlich weil natürliche Feinde in der Regel nicht nur eine Spezies von Beutetieren angreifen. Die angesehene Biologin Miriam Rothschild verfügt über eine Fülle köstlicher Beispiele, darunter «einen Wurm, der ausschließlich unter den Augenlidern von Flusspferden lebt und sich von ihren Tränen ernährt».)
In manchen Fällen erschließt sich die Übereinstimmung von Tier und Umwelt entweder dem gesunden Menschenverstand oder dem geübten Auge des Technikers sofort. Warum Schwimmhäute bei Tieren, die häufig ins Wasser gehen – Enten, Schnabeltieren, Fröschen, Ottern und anderen –, so häufig vorkommen, begreift jeder. Wer noch Zweifel hat, braucht nur
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