Der entzauberte Regenbogen
mit Dachsen. Die Nerze gehören zu derselben Gattung wie Wiesel und Hermeline (damit sind die drei Tiere so eng verwandt wie Pferde, Zebras und Esel), aber sie leben halb im Wasser, und ihre Füße sind zum Teil mit Schwimmhäuten ausgestattet. In Südamerika lebt die Schwimmbeutelratte, ein kleines Beuteltier, das man direkt mit seinen landlebenden Vettern vergleichen kann, den Opossums. Von den Eier legenden Säugetieren Australiens und Asiens leben die Schnabeltiere vorwiegend im Wasser, die Ameisenigel aber an Land. Man kann eine lange Liste solcher Paare zusammenstellen: Vielen unabhängig entstandenen, wasserlebenden Gruppen steht jeweils ein engster Verwandter gegenüber, der auf dem Trockenen zu Hause ist.
An einer solchen Liste fallen sofort einige Dinge auf. Die Füße der meisten Wasserbewohner sind zumindest teilweise mit Schwimmhäuten ausgerüstet und der Schwanz hat bei manchen die Form eines Paddels. Solche Merkmale sind ebenso leicht zu erkennen wie die lange, klebrige Zunge der Ameisenesser. Aber wie der niedrige Stoffwechselumsatz, der allen Ameisenessern gemeinsam ist, so gibt es vermutlich auch bei den Wassertieren weniger nahe liegende gemeinsame Merkmale, die sie von ihren landlebenden Verwandten unterscheiden. Wie kann man solche Merkmale aufspüren? Die Antwort: durch systematische statistische Analysen. Eine solche Untersuchung könnte folgendermaßen aussehen:
Anhand der Tabelle mit den Artenpaaren stellt man eine große Zahl von Messungen an, und zwar bei allen Tieren die gleichen. Man misst sämtliche Eigenschaften, die man sich nur vorstellen kann, ohne zuvor eine Auswahl zu treffen: Breite des Beckens, Durchmesser der Augen, Länge des Darmes und viele Dutzend andere, die man dann vielleicht zur gesamten Körpergröße ins Verhältnis setzt. Nun füttert man alle Messwerte in einen Computer und rechnet aus, welche davon ein hohes Gewicht haben, wenn man wasserlebende Tiere von ihren an Land lebenden Verwandten unterscheiden will. Jetzt kann man den Beitrag aller Messwerte mit einem Gewichtungsfaktor multiplizieren und gelangt dann durch Summierung zu einer «Unterscheidungszahl». Der Computer korrigiert die Gewichtung der einzelnen Messwerte so, dass sich in der Endsumme ein möglichst großer Unterschied zwischen wasser- und landlebenden Tieren ergibt. Dabei wird sich wahrscheinlich herausstellen, dass beispielsweise ein Index für die Schwimmhäute eine starke Gewichtung hat. Der Computer wird feststellen, dass es sich lohnt – wenn man zu einem möglichst großen Unterschied zwischen Wasser- und Landtieren gelangen will –, den Schwimmhäuteindex mit einer großen Zahl zu multiplizieren, bevor man ihn zu der Unterscheidungszahl hinzuaddiert. Andere Messwerte – für Eigenschaften, die den Säugetieren unabhängig von der Nässe ihres Lebensraumes gemeinsam sind – wird man mit null multiplizieren müssen, um ihren bedeutungslosen, verwirrenden Beitrag zu der gewichteten Summe zu beseitigen.
Am Ende der Analyse stehen die Gewichtungen sämtlicher Messungen. Eigenschaften mit hoher Gewichtung wie der Schwimmhäuteindex haben, wie sich dabei herausstellt, mit der Lebensweise im Wasser zu tun. Schwimmhäute sind ohnehin eine offensichtliche Eigenschaft, aber wir hoffen, dass die Analyse auch andere wichtige Unterscheidungsmerkmale ans Licht bringt, die nicht so einfach zu erkennen sind, wie beispielsweise biochemische Messwerte. Wenn wir sie gefunden haben, können wir uns den Kopf über die Frage zerbrechen, in welchem Zusammenhang sie mit dem Leben im Wasser oder an Land stehen. Daraus können sich Hypothesen für weitere Forschungsarbeiten ergeben. Und selbst wenn das nicht gelingt, liefert wahrscheinlich jeder statistisch signifikante Unterschied zwischen Tieren mit unterschiedlicher Lebensweise wichtige Aufschlüsse darüber, wie diese Tiere leben.
Das gleiche Verfahren kann man auch auf die Gene anwenden. Ohne zuvor irgendwelche Vermutungen über ihre Tätigkeit anzustellen, sucht man bei nicht sonderlich eng verwandten wasserlebenden Tieren systematisch nach genetischen Ähnlichkeiten, die bei ihren an Land lebenden engen Verwandten nicht vorhanden sind. Wenn wir dabei starke, statistisch signifikante Effekte finden, haben wir nach meiner Überzeugung eine Art genetische Beschreibung der Umwelt im Wasser vor uns, selbst wenn wir nicht wissen, welche Funktion die betreffenden Gene erfüllen. Um es noch einmal zu wiederholen: Die natürliche Selektion wirkt als Computer
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