Der entzauberte Regenbogen
Weibchen über männliche Zwischenglieder verbunden ist, können zu beliebigen Wirtsrassen gehören. Unter dem Gesichtspunkt der «Erfahrungen» von Genen ergeben sich daraus interessante Folgerungen. Wie ich bereits erwähnt habe, besitzen bei Vögeln die Weibchen unterschiedliche Geschlechtschromosomen (X- und Y-Chromosom), während man bei Männchen zwei X-Chromosomen findet. Nun kann man sich überlegen, was das für die früheren Erfahrungen eines Gens auf dem Y-Chromosom bedeutet. Da dieses Chromosom ausschließlich in der weiblichen Linie vererbt wird und nie den Weg der männlichen Erfahrungen kreuzt, bleibt ein Y-Chromosom stets in derselben Wirtsrasse – es ist ein Heckenbraunellen-Kuckucks- oder ein Wiesenpieper-Kuckucks-Y-Chromosom. Es macht in jeder Generation die gleichen «Erfahrungen» mit den Pflegeeltern. Darin unterscheidet es sich von allen anderen Genen des Kuckucks, die auch eine gewisse Zeit in männlichen Körpern zu Hause waren und sich mit Weibchen aus verschiedenen Wirtsrassen gepaart haben, sodass sie mit diesen ihrer Häufigkeit entsprechende Erfahrungen besitzen.
In unserer Formulierung der Gene als «Beschreibung» früherer Umweltverhältnisse werden die meisten Kuckucksgene die gemeinsamen Merkmale sämtlicher Nester beschreiben, die von der Spezies parasitisch genutzt werden. Die Gene auf dem Y-Chromosom jedoch beschreiben als Einzige nur die Nester einer einzigen Art von Pflegeeltern. Demnach können die Gene auf dem Y-Chromosom im Gegensatz zu allen anderen Kuckucksgenen in der Evolution besondere Kunstgriffe entwickeln, die das Überleben im Nest der jeweiligen Pflegeelternart erleichtern. Was sind das für Kunstgriffe? Nun, Kuckuckseier ähneln zumindest bis zu einem gewissen Grade den Eiern der Wirtsspezies. Kuckuckseier, die in das Nest eines Wiesenpiepers gelegt werden, sehen wie große Wiesenpiepereier aus. Kuckuckseier, die in das Nest eines Teichrohrsängers gelegt werden, sehen wie große Teichrohrsängereier aus. Kuckuckseier, die in das Nest einer Bachstelze gelegt werden, sehen wie große Bachstelzeneier aus. Das dürfte den Kuckuckseiern nützen, weil sie nicht so leicht von den Pflegeeltern abgelehnt werden. Aber überlegen wir einmal, was es aus der Sicht der Gene bedeutet.
Lägen die Gene für die Eierfarbe auf irgendeinem anderen als dem Y-Chromosom, würden sie durch die Männchen in die Körper von Weibchen aus dem ganzen Spektrum der Wirtsrassen getragen, das heißt, sie würden auch in alle möglichen Wirtsnester gelangen, und es gäbe keinen einheitlichen Selektionsdruck, der die Nachahmung einer bestimmten Eiersorte besonders begünstigt. Unter solchen Umständen könnten die Kuckuckseier kaum Ähnlichkeiten entwickeln, die über die allgemeinen Merkmale aller Eier der Wirtsvögel hinausgehen. Zwar gibt es in der Frage keine eindeutigen Befunde, aber es wäre eine vernünftige Annahme, dass sich die Gene für die gezielte Nachahmung bestimmter Eier auf dem Y-Chromosom befinden. Dann werden sie von den Weibchen Generation für Generation in Nester derselben Spezies getragen. Ihre früheren «Erfahrungen» haben sie immer mit den prüfenden Blicken der gleichen Wirtsvögel gemacht, und diese Blicke üben den Selektionsdruck aus, der Farbe und Fleckenmuster in Richtung der Ähnlichkeit mit den Eiern des Wirtes lenkt.
Allerdings gibt es eine auffällige Ausnahme. Eier, die Kuckucke in die Nester von Heckenbraunellen legen, haben keine Ähnlichkeit mit Heckenbraunelleneiern. Unter ihnen gibt es im Aussehen nicht mehr Schwankungen als bei den Eiern, die den Teichrohrsängern oder Wiesenpiepern ins Nest gelegt werden, und sie ähneln auch den Eiern aller anderen Wirtsrassen nicht übermäßig stark, aber auch den Heckenbraunelleneiern gleichen sie nicht. Wie kommt das? Es könnte daran liegen, dass die einheitlich blassblauen Eier der Heckenbraunelle schwieriger nachzuahmen sind als die der anderen Arten. Vielleicht fehlt den Kuckucken einfach die biochemische Ausrüstung zur Herstellung blassblauer Eier? Solchen Schlupfloch-Theorien gegenüber bin ich immer misstrauisch, und in diesem Fall gibt es auch Anhaltspunkte, die dagegensprechen. Aus Finnland kennt man eine Wirtsrasse, die Rotschwänze heimsucht, ebenfalls eine Spezies mit hellblauen Eiern. Und diesen Kuckucken, die zu derselben Art gehören wie unsere britische Variante, gelingt es ohne weiteres, die Rotschwanzeier nachzuahmen. Man kann also davon ausgehen, dass die britischen Kuckucke bei der
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