Der entzauberte Regenbogen
zugewandt hat, nachdem es früher möglicherweise auf eine andere Art spezialisiert war.
Ameisen, Termiten und andere Arten Staaten bildender Insekten haben eine weitere Besonderheit. Bei ihnen gibt es unfruchtbare Arbeiter, die häufig in mehrere «Kasten» unterteilt sind – Soldaten, mittelgroße Arbeiter, kleine Arbeiter und so weiter. Jeder Arbeiter besitzt unabhängig von seiner Kaste alle Gene, die ihn auch zu einem Angehörigen jeder anderen Kaste hätten machen können, aber sie werden je nach Aufzuchtbedingungen in unterschiedlicher Kombination aktiviert. Durch die Steuerung dieser Aufzuchtbedingungen stellen die Kolonien ein ausgewogenes Verhältnis der verschiedenen Kasten her. Häufig bestehen zwischen den Kasten gewaltige Unterschiede. Bei der asiatischen Ameisenart Pheidologeton diversus sind die großen Arbeiter (die sich darauf spezialisiert haben, für andere Angehörige der Kolonie die Wege zu planieren) fünfhundertmal schwerer als die Mitglieder der kleinen Kaste, die alle sonstigen Aufgaben von Arbeiterameisen erfüllen. Die gleiche Genausstattung versetzt eine Larve in die Lage, entweder zum Riesen oder zum Liliputaner heranzuwachsen, je nachdem, welche Gene eingeschaltet werden. Honigtopf-Ameisen sind unbewegliche Vorratsgefäße, deren Bauch vom Nektar zu einer durchsichtigen gelben Kugel aufgeblasen ist; in dieser Form hängen sie von der Decke des Baues. Die übrigen Tätigkeiten im Ameisennest – Verteidigung, Futtersuche und in diesem Fall das Füllen der lebenden Gefäße – übernehmen die normalen Arbeiter, deren Bauch nicht angeschwollen ist. Auch diese normalen Arbeiter besitzen Gene, die sie zu Honigtöpfen machen könnten, und ebenso könnten die Honigtöpfe von ihren Genen her normale Arbeiter sein. Wie bei Männchen und Weibchen hängen die Unterschiede der äußeren Form davon ab, welche Gene aktiviert werden. Das wird in diesem Fall von Umweltfaktoren bestimmt, vielleicht von der Ernährung. Noch einmal: Der Zoologe der Zukunft könnte nicht am Körper, sondern an den Genen eines beliebigen Angehörigen der Spezies ein vollständiges Bild der Kasten und ihrer höchst unterschiedlichen Lebensweise ablesen.
Die europäische Hainbänderschnecke Cepaea nemoralis kommt in einer ganzen Reihe von Färbungen und Mustern vor. Für die Hintergrundfarbe des Gehäuses gibt es sechs verschiedene Tönungen, nämlich (in der Reihenfolge ihrer Dominanz im genetisch-fachsprachlichen Sinn) braun, dunkelrosa, hellrosa, sehr blassrosa, dunkelgelb, hellgelb. Darüber liegen Streifen, deren Zahl von eins bis fünf schwankt. Anders als die Staaten bildenden Insekten sind Schnecken genetisch nicht so ausgestattet, dass sie jede der möglichen Formen annehmen könnten, und die Unterschiede entstehen bei ihnen auch nicht aufgrund von Aufzuchtbedingungen. Gestreifte Schnecken besitzen Gene, die über die Zahl der Streifen bestimmen, und dunkelrosa gefärbte Schnecken haben Gene, die sie dunkelrosa färben. Aber alle Typen können sich untereinander paaren.
Die Gründe, warum so viele verschiedene Schneckentypen (Polymorphismen) erhalten bleiben, und die genetischen Einzelheiten der Polymorphismen selbst wurden von zwei englischen Zoologen, A. J. Cain und dem mittlerweile verstorbenen P. M. Sheppard, und ihren Mitarbeitern eingehend untersucht. Was die Evolution angeht, stützt sich ihre Erklärung vor allem auf die Tatsache, dass die Art über unterschiedliche Lebensräume – Wälder, Graslandschaften, nackten Erdboden – verbreitet ist und in jedem davon ein anderes Muster braucht, um sich zu tarnen. Schnecken aus Buchenwäldern besitzen eine Beimischung von Genen aus Wiesengebieten, weil sie sich in deren Grenzbereichen kreuzen. Eine Schnecke aus einem Landstrich mit kalkigem Untergrund enthält auch einige Gene, die zuvor im Körper von Waldbewohnern überlebt haben, und ihr Vermächtnis kann – je nach den anderen Genen der Schnecke – aus Streifen bestehen. Unser zukünftiger Zoologe müsste sich den Genvorrat der gesamten Art ansehen, um das ganze Spektrum ihrer früheren Umgebungsbedingungen zu rekonstruieren.
Wie die Hainbänderschnecke, die räumlich über verschiedene Gebiete verbreitet ist, so haben die Vorfahren aller Arten im Laufe der Zeit hin und wieder ihre Lebensweise gewechselt. Hausmäuse ( Mus musculus ) findet man heute fast ausschließlich in den Behausungen der Menschen oder um sie herum, wo sie unerwünschte Nutznießer von Landwirtschaft und Vorratshaltung sind.
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