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Der entzauberte Regenbogen

Der entzauberte Regenbogen

Titel: Der entzauberte Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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eine schräge Augenbraue, die das Ganze ein wenig wie Harold Macmillan aussehen lässt; allerdings vermute ich, für einen entsprechend disponierten Geist könnte selbst Harold Macmillan wie Jesus aussehen. Der Express erinnert uns an ähnliche Geschichten, beispielsweise die vom «Nonnenbrötchen», das in einem Café in Nashville auf der Speisekarte stand und angeblich «dem Gesicht von Mutter Teresa, 86» ähnelte. Das führte zu großer Aufregung, bis «die betagte Schwester in einem Brief an das Café verlangte, den Verkauf einzustellen».
    Die Neigung des Gehirns, beim geringsten Anlass ein Gesicht zu rekonstruieren, ermöglicht eine bemerkenswerte optische Täuschung. Man nehme eine ganz gewöhnliche Maske eines menschlichen Gesichtes – beispielsweise von Präsident Clinton oder eine andere, die zum Karneval verkauft wird. Man stelle sie bei guter Beleuchtung auf und betrachte sie von der anderen Seite des Zimmers aus. Sieht man die Vorderseite an, erscheint sie, wie nicht anders zu erwarten, wie ein fester Körper. Aber jetzt dreht man die Maske um, sodass sie vom Betrachter wegblickt, und fasst die hohle Rückseite von der anderen Seite des Zimmers aus ins Auge. Bei den meisten Menschen stellt sich die Illusion sofort ein. Geschieht es nicht, kann man die Beleuchtung ein wenig verändern. Manchmal hilft es auch, wenn man ein Auge schließt, aber das ist keineswegs notwendig. Die Täuschung besteht darin, dass auch die hohle Seite der Maske erhaben erscheint. Nase, Augenbrauen und Mund scheinen zum Betrachter zu ragen und näher zu sein als die Ohren. Noch verblüffender ist der Effekt, wenn man sich hin und her oder auf und ab bewegt. Es sieht aus, als drehe sich das scheinbar feste Gesicht ebenfalls auf eine ganze seltsame, fast magische Weise.
    Mir geht es hier nicht um die normale Beobachtung, dass einem die Blicke eines guten Porträts zu folgen scheinen, wenn man durch das Zimmer geht. Die Täuschung mit der hohlen Maske ist viel gruseliger. Sie scheint leuchtend im Raum zu schweben. Es sieht aus, als würde sich das Gesicht wirklich drehen. Ich habe in meinem Zimmer eine Maske von Einsteins Gesicht mit der hohlen Seite nach vorn aufgestellt, und wenn Besucher es erblicken, stockt ihnen der Atem. Am erstaunlichsten ist die Illusion, wenn man die Maske auf einen langsam rotierenden Teller stellt. Ist die erhabene Seite dem Betrachter zugewandt, wirkt die Bewegung sinnvoll und «normal». Aber sobald die hohle Seite ins Blickfeld gerät, geschieht etwas Ungewöhnliches. Man sieht ein zweites Gesicht, aber es scheint sich in die entgegengesetzte Richtung zu drehen. Da sich das eine Gesicht (beispielsweise das echte, erhabene) im Uhrzeigersinn dreht, während das andere, «ausgestülpte» im Gegenuhrzeigersinn zu rotieren scheint, sieht es so aus, als würde das Gesicht, das ins Blickfeld rückt, das andere verschlucken. Im weiteren Verlauf der Drehung sieht man dann, wie sich das in Wirklichkeit hohle, aber scheinbar erhabene Gesicht eindeutig in der falschen Richtung zu drehen scheint, bevor das echte, erhabene Gesicht wieder auftaucht und sein virtuelles Gegenüber verschluckt. Der Illusion zuzusehen, ist ein geradezu beängstigendes Erlebnis, und das ändert sich auch nicht, ganz gleich, wie lange man das Schauspiel betrachtet. Man gewöhnt sich nicht daran, die Illusion geht nicht verloren.
    Was spielt sich da ab? Die Antwort können wir in zwei Teile zerlegen. Erstens: Warum sieht die hohle Maske erhaben aus? Und zweitens: Warum scheint sie sich in die falsche Richtung zu drehen? Wir hatten uns bereits darauf geeinigt, dass das Gehirn mit seinem inneren Simulator sehr gut Gesichter konstruieren kann – und sogar höchst erpicht darauf ist. Die Informationen, mit denen die Augen das Gehirn füttern, sind natürlich mit der Vorstellung vereinbar, dass die Maske hohl ist, aber ebenso passen sie – gerade eben – zu der umgekehrten Hypothese, dass der Gegenstand ein erhabenes Gesicht darstellt. Das Gehirn entscheidet sich bei seiner Simulation für die zweite Alternative, vermutlich weil es so darauf aus ist, Gesichter zu sehen. Deshalb übergeht es die Informationen von den Augen, die ihm sagen: «Es ist hohl», und hört stattdessen auf die Information: «Das ist ein Gesicht, das ist ein Gesicht, Gesicht, Gesicht, Gesicht.» Gesichter sind immer erhaben. Deshalb nimmt das Gehirn aus seinem Vorratsschrank das Modell eines Gesichtes, das nun natürlich ebenfalls erhaben ist.
    Aber nachdem das Gehirn

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