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Der entzauberte Regenbogen

Der entzauberte Regenbogen

Titel: Der entzauberte Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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sein erhabenes Gesichtsmodell aufgebaut hat, stößt es auf einen Widerspruch, sobald die Maske rotiert. Nehmen wir der Einfachheit halber einmal an, es handele sich um eine Maske von Oliver Cromwell, und die berühmten Warzen seien von beiden Seiten der Maske aus zu sehen. Wenn wir auf das hohle Innere der Nase blicken, das in Wirklichkeit vom Betrachter weggerichtet ist, fällt der Blick geradewegs auf die rechte Seite der Nase, wo sich eine auffällige Warze befindet. Aber die konstruierte, virtuelle Nase scheint zum Betrachter hinzuweisen, und dann ist die Warze aus der Sicht des virtuellen Cromwell auf seiner scheinbaren linken Seite, als würden wir sein Spiegelbild sehen. Wenn die Maske rotiert, würde unser Auge bei einem echten, erhabenen Gesicht mehr von der Seite sehen, die es zu sehen erwartet, und die andere würde langsam verschwinden. Da die Maske in Wirklichkeit hohl ist, geschieht das Umgekehrte. Die Größenverhältnisse im Netzhautbild verändern sich so, wie das Gehirn es erwartet, wenn das Gesicht erhaben wäre, aber es dreht sich in die entgegengesetzte Richtung. So entsteht die Illusion. Während die eine Seite der anderen Platz macht, löst das Gehirn den unvermeidlichen Widerspruch auf die einzige Weise auf, die angesichts seines hartnäckigen Beharrens auf dem erhabenen Gesicht möglich ist: Es simuliert das virtuelle Modell eines Gesichtes, das ein anderes Gesicht verschluckt.
    Die seltene Gehirnkrankheit, bei der die Betroffenen keine Gesichter mehr erkennen können, heißt Prosopagnosie. Ihre Ursache sind Verletzungen ganz bestimmter Gehirnteile. Schon diese Tatsache spricht dafür, dass der «Schrank mit Gesichtern» im Gehirn wichtig ist. Ob Menschen mit Proposagnosie die Illusion mit der hohlen Maske sehen können, weiß ich nicht, aber ich würde wetten, dass sie nicht dazu in der Lage sind. Francis Crick befasst sich in seinem 1994 erschienenen Buch Was die Seele wirklich ist mit der Prosopagnosie und anderen aufschlussreichen Krankheiten. So war beispielsweise eine Patientin über ihre Gesundheitsstörung höchst beunruhigt, was, so Crick, alles andere als verwunderlich war:
     
    Das ist insofern nicht überraschend, als die Objekte und Personen, die sie an einer Stelle sah, plötzlich an einer anderen Stelle auftauchten, ohne daß ihr bewußt gewesen wäre, daß sie sich bewegt hatten. Beim Überqueren einer Straße war dies besonders erschreckend, denn ein Auto, das zunächst sehr weit entfernt zu sein schien, war plötzlich ganz nah … Sie erlebte die Welt etwa so, wie man in einer Diskothek das Geschehen auf der Tanzfläche in stroboskopischer Beleuchtung sieht.
     
    Diese Frau hatte wie wir alle einen ganzen Schrank voller Bilder, um damit ihre virtuelle Welt zusammenzusetzen. Die Bilder als solche waren wahrscheinlich völlig in Ordnung, aber mit der Software für ihren Einsatz in einer sich kontinuierlich verändernden Welt stimmte etwas nicht. Andere Patienten sind nicht mehr in der Lage, virtuelle räumliche Tiefe zu konstruieren. Sie sehen die Welt, als wäre sie aus flachen, ausgeschnittenen Pappestücken aufgebaut. Wieder andere erkennen Gegenstände nur dann, wenn man sie ihnen aus einem ganz bestimmten vertrauten Winkel zeigt. Wir anderen können eine Untertasse, die wir einmal von der Seite gesehen haben, ohne weiteres auch von oben erkennen. Diese Patienten besitzen wahrscheinlich nicht mehr die Fähigkeit, virtuelle Bilder zu handhaben und zu drehen. Durch die Technik der virtuellen Realität verfügen wir mittlerweile über eine Sprache, in der wir über solche Fertigkeiten nachdenken können, und das ist mein nächstes Thema.
    Ich werde mich nicht mit den Einzelheiten der heutigen virtuellen Realität aufhalten, denn die werden ohnehin mit Sicherheit bald veraltet sein. Die Technologie wandelt sich so schnell wie alles andere in der Welt der Computer. Prinzipiell spielt sich Folgendes ab: Man legt einen Helm an, der vor jedes Auge einen kleinen Computerbildschirm hält. Die Bilder auf den beiden Schirmen sind fast gleich, aber ein wenig verschoben, sodass sich ein räumlicher Eindruck ergibt. Je nachdem, wie der Computer programmiert wurde, können die Bildschirme beliebige Szenen zeigen: vielleicht das unbeschädigte Parthenon mit seinen ursprünglichen, schreienden Farben, eine Phantasielandschaft auf dem Mars oder das Innere einer Zelle in gewaltiger Vergrößerung. Bis hierher würde meine Beschreibung auch auf einen normalen 3-D-Film zutreffen. Aber die

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