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Der entzauberte Regenbogen

Der entzauberte Regenbogen

Titel: Der entzauberte Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Realität ansieht. Wie Daniel Dennett und andere Philosophen deutlich gemacht haben, hat man überhaupt nichts erklärt, wenn man annimmt, das Auge sei so mit dem Gehirn verdrahtet, dass eine kleine Filmleinwand irgendwo im Kopf die Bilder von der Netzhaut wiedergibt. Wer sitzt vor der Leinwand? Diese neue Frage ist nicht kleiner als die ursprüngliche, die man beantwortet zu haben glaubt. Ebenso könnte man den kleinen Mann unmittelbar auf die Netzhaut blicken lassen, und das ist natürlich überhaupt keine Lösung. Das gleiche Problem stellt sich, wenn wir die Metapher der virtuellen Realität wörtlich nehmen und uns vorstellen, irgendeine Instanz im Kopf würde die Vorführung der virtuellen Realität «erleben».
    Die Fragen, die das subjektive Bewusstsein aufwirft, sind vielleicht die vertracktesten der gesamten Philosophie, und ich habe keineswegs den Ehrgeiz, sie zu beantworten. Mein Vorschlag ist bescheidener: Danach muss jede Spezies ihre Informationen über die Außenwelt in jeder Situation so einsetzen, dass sie den größtmöglichen Nutzen für Handlungen bringen. Die «Konstruktion eines Modells im Kopf» ist eine nützliche Formulierung, wenn man diesen Vorgang beschreiben will, und wenn es um Menschen geht, ist der Vergleich mit der virtuellen Realität besonders hilfreich. Wie ich zuvor dargelegt habe, bedient sich eine Fledermaus wahrscheinlich eines ganz ähnlichen Modells der Umwelt wie eine Schwalbe, obwohl dieses Modell im einen Fall über die Ohren, im anderen aber über die Augen mit der Realität verknüpft ist. Das Gehirn konstruiert sein Weltmodell so, dass es sich möglichst gut zum Handeln eignet. Da sich die Aktivitäten der tagsüber fliegenden Schwalben und der nachts fliegenden Fledermäuse ähneln – beide müssen sich bei hoher Geschwindigkeit in drei Dimensionen orientieren, feste Hindernisse meiden und Insekten im Flug fangen –, nutzen sie wahrscheinlich auch ähnliche Modelle. Ich postuliere keine «kleine Fledermaus im Kopf» oder «kleine Schwalbe im Kopf», die das Modell betrachtet. Irgendwie dient das Modell dazu, die Flügelmuskulatur zu steuern; weiter gehe ich nicht.
    Dennoch wissen wir Menschen sehr genau, wie stark die Illusion ist, dass irgendwo mitten im Gehirn eine einzelne Instanz sitzt. Nach meiner Vermutung handelt es sich hier um einen ähnlichen Fall wie bei dem Modell der Gene, die eigentlich unabhängig sind, sich aber als «egoistische Kooperatoren» zusammentun und gemeinsam die Illusion eines einheitlichen Körpers schaffen. Auf diese Idee werde ich kurz vor dem Ende des nächsten Kapitels noch einmal zurückkommen.
    In diesem Kapitel habe ich die These aufgestellt, dass das Gehirn von der DNA die Aufgabe übernommen hat, Aufzeichnungen über die Außenwelt zu führen – oder eigentlich über die Außenwelten, denn es sind viele, die sich über die nahe und fernere Vergangenheit verteilen. Aufzeichnungen über die Vergangenheit sind nur insoweit nützlich, als sie Voraussagen über die Zukunft erleichtern. Der Körper eines Tieres stellt eine Art Voraussage dar, dass die Zukunft in ihren groben Umrissen der Vergangenheit seiner Vorfahren ähneln wird. In dem Umfang, in dem sich diese Prophezeiung als richtig erweist, wird das Tier überleben. Und mit Hilfe der simulierten Weltmodelle kann das Tier handeln, als könne es voraussehen, welchen Weg die Welt in den nächsten paar Sekunden, Stunden oder Tagen einschlagen wird. Der Vollständigkeit halber müssen wir festhalten, dass auch das Gehirn selbst einschließlich seiner Software für die virtuelle Realität letztlich das Produkt der natürlichen Selektion früherer Gene ist. Man kann davon ausgehen, dass die Gene nur eine begrenzte Voraussagefähigkeit besitzen, weil die Zukunft nur in allgemeiner Hinsicht der Vergangenheit ähneln wird. Für den Umgang mit Details und Feinheiten statten sie das Tier mit der Nerven-Hardware und der Software für virtuelle Realität aus, sodass Voraussagen ständig aktualisiert, revidiert und an schnell veränderliche Bedingungen angepasst werden können. Es ist, als würden die Gene sagen: «Wir bauen ein Basismodell der Umwelt, für die Dinge, die sich über Generationen hinweg nicht ändern. Die schnellen Veränderungen sind deine Sache, Gehirn.»
    Wir bewegen uns durch eine virtuelle Welt, die unser eigenes Gehirn gebaut hat. Unsere konstruierten Modelle von Felsen und Bäumen gehören nicht weniger zu der Umwelt, in der wir Tiere leben, als die wirklichen Felsen

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