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Der entzauberte Regenbogen

Der entzauberte Regenbogen

Titel: Der entzauberte Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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entgegengesetzt bewegte. Deshalb strebte sie mit den Beinen zum Ausgleich weiter in die gleiche Richtung, aber das führte dazu, dass sich auch ihre Umwelt scheinbar weiterbewegte. Am Ende drehte sich die Fliege um die eigene Achse wie ein Kreisel, und das immer schneller – nun ja, natürlich innerhalb der natürlichen Grenzen.
    Wie Erich von Holst ebenfalls deutlich machte, sollte man eine ähnliche Verwirrung erwarten, wenn unsere eigenen willkürlichen Anweisungen zur Bewegung der Augen unwirksam gemacht werden, beispielsweise indem man die Augenmuskeln betäubt. Wenn wir unseren Augen den Befehl erteilen, sich nach rechts zu bewegen, signalisieren die Netzhautbilder normalerweise eine Bewegung nach links. Um sie auszugleichen und den Eindruck der Konstanz zu bewahren, muss sich das Modell im Kopf ebenfalls nach rechts bewegen. Sind aber die Augenmuskeln narkotisiert, sollte sich das Modell in Erwartung der nicht eintretenden Wanderungen auf der Netzhaut nach rechts drehen. Von Holst selbst berichtete darüber in seinem Buch Zur Verhaltensphysiologie bei Tieren und Menschen (Bd.   1, 1969):
     
    Diese Voraussage trifft zu! Man weiß seit langem von Augenmuskelgelähmten, und Kornmüller hat es im Selbstversuch mit betäubten Augenmuskeln genauer bestätigt, daß jede intendierte Bewegung die Wahrnehmung einer offenbar quantitativen Umweltverlagerung in der gleichen Richtung bewirkt.
     
    Wir sind es so gewohnt, in unserer simulierten Welt zu leben, und sie wird so gut mit der wirklichen Welt in Übereinstimmung gebracht, dass wir die Tatsache der Simulation überhaupt nicht bemerken. Sie zeigt sich nur in klugen Experimenten, wie von Holst und seine Kollegen sie anstellten.
    Die Sache hat aber auch eine Kehrseite. Ein Gehirn, das mit seiner Vorstellungskraft gut Modelle simulieren kann, läuft fast zwangsläufig Gefahr, sich selbst zu täuschen. Wer hat nicht als Kind einmal abends im Bett gelegen und entsetzliche Angst gehabt, weil ein Gespenst oder das Gesicht eines Ungeheuers durch das Fenster zu blicken schien, und später stellte sich heraus, dass es nur ein Spiel von Licht und Schatten war? Ich habe bereits darauf hingewiesen, wie gern die Simulationssoftware unseres Gehirns ein erhabenes Gesicht konstruiert, wenn es in Wirklichkeit hohl ist. Ebenso gern baut sie ein Geistergesicht auf, wo sich in Wirklichkeit nur ein paar mondbeschienene Falten einer weißen Fenstergardine befinden.
    In jeder Nacht unseres Lebens träumen wir. Unsere Simulationssoftware erzeugt Welten, die es nicht gibt, Menschen, Tiere und Orte, die niemals existiert haben und vielleicht nie existieren könnten. Im Augenblick ihrer Entstehung erleben wir solche Simulationen, als wären sie die Wirklichkeit. Warum auch nicht, nehmen wir doch auch die Wirklichkeit gewöhnlich auf die gleiche Weise wahr – als simulierte Modelle. Selbst wenn wir wach sind, kann uns die Simulationssoftware hinters Licht führen. Illusionen wie die mit dem hohlen Gesicht sind als solche harmlos, und wir verstehen, wie sie zustande kommen. Aber wenn wir unter Drogen stehen, Fieber haben oder fasten, kann die Simulationssoftware auch Halluzinationen erzeugen. Menschen hatten in geschichtlicher Zeit immer wieder Visionen von Engeln, Heiligen und Göttern, die ihnen sehr real erschienen. Natürlich, sie mussten real erscheinen. Es waren Modelle, die von der normalen Simulationssoftware aufgebaut wurden, und diese benutzte dazu die gleichen Methoden, mit denen sie auch die ständig aktualisierte Abbildung der Wirklichkeit erzeugt. Kein Wunder, dass die Visionen so großen Einfluss hatten und das Leben der Menschen veränderten. Wenn wir also hören, jemand habe eine Vision erlebt, Besuch von einem Erzengel erhalten oder Stimmen im Kopf gehört, sollten wir Verdacht schöpfen und den Bericht nicht sofort für bare Münze nehmen. Wir sollten daran denken, dass der Kopf jedes Menschen eine leistungsfähige Software enthält, die ultrarealistische Simulationen erzeugen kann. Unsere Simulationssoftware kann in null Komma nichts einen Geist, einen Drachen oder eine heilige Jungfrau auf die Beine stellen – für ein so raffiniertes Programm ist das ein Kinderspiel.
    Hier muss ich eine Warnung anbringen. Die Metapher der virtuellen Realität ist reizvoll und in vielerlei Hinsicht zutreffend. Aber es besteht die Gefahr, dass sie uns zu dem falschen Gedanken verführt, es gebe im Gehirn einen «kleinen Mann» oder «Homunculus», der sich die Vorführung der virtuellen

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