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Der entzauberte Regenbogen

Der entzauberte Regenbogen

Titel: Der entzauberte Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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und Bäume, die sie darstellen. Und interessanterweise müssen wir unsere virtuellen Welten auch als Teil der Umwelt betrachten, in der sich die natürliche Selektion unserer Gene abspielt. Ich habe Kamelgene als Bewohner früherer Welten bezeichnet, die selektioniert wurden, damit sie in den Wüsten alter und den Meeren noch älterer Zeiten überleben konnten, und ebenso wurden sie selektioniert, weil sie in Gesellschaft einer zusammengehörigen Gruppe anderer Kamelgene überleben. Das alles stimmt, und entsprechende Geschichten von Bäumen im Miozän und Savannen im Pliozän kann man auch über unsere eigenen Gene erzählen. Aber wir müssen hinzufügen: Zu den Welten, in denen die Gene überlebt haben, gehören auch virtuelle Welten, die in den Gehirnen der Vorfahren konstruiert wurden.
    Wenn es sich um sehr soziale Tiere wie uns selbst und unsere Vorfahren handelt, sind die virtuellen Welten zumindest teilweise eine Konstruktion der Gruppe. Insbesondere seit der Erfindung von Sprache und Werkzeugen mussten unsere Gene in einer komplizierten, sich ständig wandelnden Umwelt überleben, und die sparsamste Beschreibung, die man für diese Umwelt geben kann, ist eine gemeinsame virtuelle Realität. Es ist ein spannender Gedanke: Genau wie man sagen kann, dass Gene in Wüsten und Wäldern oder in Gesellschaft anderer Gene des Genvorrates überleben, so kann man auch sagen, dass Gene in der von Gehirnen geschaffenen virtuellen und sogar poetischen Welt überleben. Dem Rätsel des menschlichen Gehirns wenden wir uns im letzten Kapitel zu.

12 Ein Ballon zum Denken
Das Gehirn ist eine drei Pfund schwere Masse, die man in der Hand halten kann, aber es kann sich ein Universum vorstellen, das hundert Milliarden Lichtjahre misst.
Marian C. Diamond
    Unter Wissenschaftshistorikern gilt es als Gemeinplatz, dass die Biologen aller Epochen Vergleiche mit der fortgeschrittensten Technik ihrer Zeit anstellten, um die Funktionsweise der lebenden Organismen zu verstehen. Von den Uhren des 17. Jahrhunderts zu den mechanischen Puppen des 18., von den Dampfmaschinen der viktorianischen Zeit bis zu den heutigen, elektronisch gesteuerten, auf Wärme ansprechenden Marschflugkörpern brachten technische Neuerungen zu allen Zeiten frischen Wind in die biologische Phantasie. Wenn heute der digitale Rechner im Begriff steht, alle früheren Erfindungen in den Schatten zu stellen, hat das einen einfachen Grund. Der Computer ist nicht nur eine Maschine, sondern man kann ihn neu programmieren, sodass er zu einer beliebigen Maschine wird: Rechenmaschine, Schreibmaschine, Karteikasten, Schachmeister, Musikinstrument, Rate-Dein-Gewicht-Maschine und sogar – ich muss es zu meinem Bedauern sagen – astrologischer Wahrsager. Er kann das Wetter ebenso simulieren wie die Populationszyklen der Lemminge, ein Ameisennest, das Andocken eines Satelliten oder die Stadt Vancouver.
    Man hat das Gehirn eines Tieres auch als seinen «Bordcomputer» bezeichnet. Aber es funktioniert nicht wie ein elektronischer Rechner und es besteht aus ganz anderen Bausteinen. Einzeln sind diese Teile viel langsamer, aber sie sind in riesigen Netzwerken parallel zusammengeschaltet, sodass ihre Zahl aus bisher nur teilweise geklärten Gründen die geringere Geschwindigkeit wettmacht, und in mancherlei Hinsicht leistet ein Gehirn mehr als der Digitalcomputer. Aber die im Detail unterschiedliche Arbeitsweise macht die Metapher nicht hinfällig. Das Gehirn ist der Bordcomputer des Körpers, und zwar nicht nur wegen der Art, wie es funktioniert, sondern auch wegen der Funktion, die es im Leben des Tieres erfüllt. Die Ähnlichkeit der Aufgaben betrifft viele Bereiche im Körperhaushalt des Tieres, aber am auffälligsten ist vielleicht, dass das Gehirn die Welt mit einer Art Software für virtuelle Realität simuliert.
    Ganz allgemein könnte man glauben, es sei für jedes Tier nützlich, ein möglichst großes Gehirn zu entwickeln. Ist mehr Rechenleistung nicht immer von Vorteil? Vielleicht, aber sie kostet auch etwas. Gehirngewebe verbraucht pro Gewichtseinheit mehr Energie als andere Organe. Und das große Gehirn eines Babys erschwert seine Geburt. Unsere Annahme, viel Gehirn müsse stets etwas Gutes sein, erwächst zum Teil aus der Eitelkeit unserer Spezies mit ihrem überentwickelten Denkapparat. Dennoch bleibt die Frage, warum er gerade bei Menschen so groß geworden ist, interessant.
    Ein angesehener Fachmann sagte einmal, die Evolution des menschlichen Gehirns während der

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