Der entzauberte Regenbogen
werden mich in den nächsten Tagen sicherlich verfluchen, wenn Sie bemerken, wie Sie zum ersten Mal seit über 30 Jahren wieder dieses langweilige Thema summen.
Mich macht häufig nicht eine Melodie verrückt, sondern ein Satz, der sich endlos wiederholt; er trägt keinen erkennbaren Sinn, sondern ist nur ein Sprachbruchstück, das ich oder jemand anderes irgendwann im Laufe des Tages von sich gegeben hat. Mark Twain schrieb 1876 eine Kurzgeschichte, in der er erzählt, wie sein Denken von einem lächerlichen Bruchstück aus den gereimten Anweisungen eines Busschaffners eingenommen wurde. Der Refrain lautete:
Locht Brüder, groß oder klein!
Locht! Denn gelocht und gelacht muß er sein.
Es hat einen Rhythmus wie ein Mantra, und ich hätte fast nicht gewagt, es zu zitieren, weil ich fürchte, Sie anzustecken. Auch mir ging es einen ganzen Tag lang durch den Kopf, nachdem ich die Erzählung von Mark Twain gelesen hatte. Twains Erzähler befreite sich schließlich davon, indem er es dem Vikar erzählte, sodass es nun diesen verrückt machte. Dieses «Schwarze-Peter-Element» – die Vorstellung, man sei ein Mem los, wenn man es an einen anderen weitergibt – ist der einzige Teil der Geschichte, der nicht glaubwürdig klingt. Nur weil man jemand anderen mit einem Mem infiziert, hat man das eigene Gehirn noch nicht davon befreit.
Meme können gute Ideen, Melodien oder Gedichte sein, aber auch schwülstige Mantras. Alles, was sich durch Nachahmung so ausbreitet, wie sich Gene durch Fortpflanzung oder Virusinfektion ausbreiten, ist ein Mem. Interessant sind die Meme vor allem, weil bei ihnen zumindest theoretisch die Möglichkeit einer echten darwinistischen Selektion besteht, die der allgemein bekannten Selektion der Gene entspricht. Meme, die sich verbreiten, tun das, weil sie sich gut verbreiten können. Dennetts Endlosband war ein Tango wie bei meiner Frau und mir. Hat der Rhythmus dieses Tanzes etwas besonders Heimtückisches? Um das zu entscheiden, brauchen wir weitere Indizien. Aber der Grundgedanke, manche Meme seien wegen ihrer besonderen Eigenschaften ansteckender als andere, ist nur vernünftig.
Wie bei den Genen können wir damit rechnen, dass sich die Welt mit den Memen füllt, welche die Kunst, sich aus einem Gehirn ins andere zu kopieren, gut beherrschen. Manche Meme, beispielsweise Mark Twains Ohrwurm, haben ganz eindeutig diese Fähigkeit, selbst wenn wir nicht genau sagen können, worin sie besteht. Damit die Darwinsche Selektion in Gang kommt, reicht es aus, dass die Meme unterschiedlich ansteckend sind. Manchmal lässt sich feststellen, welche Besonderheit eines Mems seine Ausbreitung begünstigt. Wie Dennett anmerkt, besitzt das Mem der Verschwörungstheorie sogar eine eingebaute Erwiderung auf den Einwand, es gebe doch gar keine Belege für eine Verschwörung: «Natürlich nicht – da sieht man, wie mächtig die Verschwörung ist!»
Gene verbreiten sich, beispielsweise mit einem Virus, allein aufgrund ihrer parasitären Talente. Diese Ausbreitung um der Ausbreitung willen mögen wir für ziemlich unnütz halten, aber die Natur interessiert sich nicht für unsere Urteile, ob über Nützlichkeit oder irgendetwas anderes. Sobald ein Stück Code hat, den es braucht, breitet es sich aus, und das war’s. Gene können sich auch aus Gründen verbreiten, die wir für «legitimer» halten, beispielsweise weil sie den Scharfblick eines Falken verbessern. Sie fallen uns als erste ein, wenn wir an Darwinismus denken. Wie ich in Gipfel des Unwahrscheinlichen erklärt habe, ist die DNA eines Elefanten wie auch die eines Virus ein Programm, das «Verdoppele mich!» befiehlt. Der Unterschied besteht darin, dass die eine dazu einen geradezu unglaublich langen Umweg einschlägt: «Verdoppele mich, indem du zuerst einen Elefanten baust.» Aber die Programme beider Typen verbreiten sich, weil sie auf ihre unterschiedliche Weise gut im Verbreiten sind. Für Meme gilt das Gleiche. Ein Tango-Ohrwurm überlebt im Gehirn und infiziert andere Gehirne, weil er ein wirksamer Parasit ist. Er steht in dem Spektrum fast am gleichen Ende wie die Viren. Große philosophische Ideen, intelligente Erkenntnisse in der Mathematik, schlaue Methoden zum Knüpfen von Knoten oder zur Gestaltung von Gefäßen überleben im Memvorrat aus Gründen, die näher am «legitimen» oder «elefantenartigen» Ende unseres darwinistischen Spektrums stehen.
Meme könnten sich nicht ausbreiten, wenn die einzelnen Lebewesen nicht den
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