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Der entzauberte Regenbogen

Der entzauberte Regenbogen

Titel: Der entzauberte Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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waren – als «egoistische Kooperatoren» zu Gruppen zusammentun. Der einzelne Organismus ist keine richtige Illusion – dazu ist er zu konkret. Aber er ist ein sekundäres, abgeleitetes Phänomen, zusammengesetzt durch die Tätigkeit von grundsätzlich selbständigen und sogar feindlichen Akteuren. Ich möchte die Idee hier nicht weiterentwickeln, sondern nur in Übereinstimmung mit Dennett und Blackmore den Vergleich mit den Memen einfließen lassen. Vielleicht ist das subjektive «Ich», die Person, als die ich selbst mich fühle, eine ganz ähnliche Halbillusion. Der Geist ist eine Ansammlung grundsätzlich unabhängiger und einander sogar bekämpfender Akteure. Marvin Minsky, der Vater der künstlichen Intelligenz, gab seinem 1985 erschienenen Buch den Titel The Society of Mind (Die Gesellschaft des Geistes). Ob man diese Akteure nun mit Memen gleichsetzen kann oder nicht: Mir geht es hier darum, dass das subjektive Gefühl von «jemandem da drinnen» möglicherweise eine zusammengesetzte, emergente Halbillusion ist, vergleichbar dem individuellen Körper, der in der Evolution aus der erzwungenen Kooperation der Gene hervorgeht.
    Aber das war eine Abschweifung. Wir hatten nach Neuentwicklungen in der Software gesucht, die eine selbst laufende Spirale der Koevolution von Hard- und Software in Gang setzen und damit die Größenzunahme des menschlichen Gehirns erklären könnte. Bisher habe ich die Sprache, das Lesen von Landkarten, das Werfen und die Meme erwähnt. Eine weitere Möglichkeit ist die sexuelle Selektion. Ich habe sie bereits als Analogie herangezogen, um das Prinzip der explosionsartigen Koevolution zu erklären, aber könnte sie tatsächlich die Aufblähung des menschlichen Gehirns vorangetrieben haben? Imponierten unsere Vorfahren ihren Partnerinnen mit einer Art geistigem Pfauenschwanz? Wurde die größere Gehirn-Hardware begünstigt, weil sich ihre Software auffällig äußerte, beispielsweise in der Fähigkeit, sich an die Schritte eines recht komplizierten rituellen Tanzes zu erinnern? Vielleicht.
    Vielfach gilt die Sprache selbst als der überzeugendste Kandidat für den Auslöser in der Software, der die Erweiterung des Gehirns in Gang setzte, und ich möchte darauf noch einmal aus einem anderen Blickwinkel zurückkommen. Terrence Deacon betrachtet die Sprache in dem 1997 erschienenen Buch The Symbolic Species als eine Art Mem:
     
    Es ist nicht allzu weit hergeholt, sich Sprachen ein wenig wie Viren vorzustellen, wobei der Unterschied zwischen konstruktiver und destruktiver Wirkung einmal außer Acht bleiben soll. Sprachen sind unbelebte Kunstprodukte, Muster aus Lauten oder Linien auf Ton oder Papier, die sich zufällig in die Tätigkeit des menschlichen Gehirns einschleichen, und dieses vermehrt ihre Teile, setzt sie zu einem System zusammen und gibt sie weiter. Die Tatsache, dass die Information, die eine Sprache ausmacht, nicht in einem Lebewesen organisiert ist, schließt keineswegs aus, dass es sich um ein integriertes, anpassungsfähiges Gebilde handelt, das im Hinblick auf seine menschlichen Wirte eine Evolution durchmacht.
     
    Anschließend spricht sich Deacon für ein «symbiontisches» anstelle des ansteckend-parasitischen Modells aus und stellt den Vergleich mit Mitochondrien und anderen symbiontischen Bakterien in den Zellen an. Sprachen erleben eine Evolution und erlangen die Fähigkeit, Kindergehirne leicht zu infizieren. Aber auch die Gehirne der Kinder, unserer «Geistesraupen», haben sich so entwickelt, dass sie sich gut infizieren lassen: wieder einmal ein Fall von Koevolution.
    C. S. Lewis erinnert uns in «Bluspels and Flalansferes» (1939) an den Aphorismus eines Philologen, unsere Sprache sei voller toter Metaphern. Und der Philosoph Ralph Waldo Emerson schrieb 1844 in einem Aufsatz mit dem Titel «Der Poet»: «Sprache ist fossile Poesie.» Vielleicht nicht alle Wörter, aber zumindest viele von ihnen waren anfangs sicher Metaphern. Lewis erwähnt das englische Wort attend (auf jemanden achten), das ursprünglich «ausstrecken» bedeutete. Wenn ich auf jemanden achte, strecke ich meine Ohren zu ihm aus. Ich «begreife» eine Sache, wenn jemand das Thema «ausbreitet», und «nagele» den anderen womöglich «fest». Wir «vertiefen» uns in eine Frage und «eröffnen» einen Gedanken«gang». Ich habe absichtlich Wörter gewählt, deren Abstammung von Metaphern relativ jungen Datums und deshalb leicht zu erkennen ist. Philologen werden tiefer schürfen (merken

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