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Der entzauberte Regenbogen

Der entzauberte Regenbogen

Titel: Der entzauberte Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Kricketspieler war, sogar noch nachdem er ein Auge eingebüßt hatte), für die Universität spielte und den Ball immer wieder mit unglaublicher Geschwindigkeit und Präzision warf. Und das, während er selbst in einem Tempo lief, dass den Spielern der gegnerischen Mannschaft Hören und Sehen verging.
    Calvin stand also vor einem Rätsel. Wie können wir so gut werfen? Die Antwort, so seine Überlegung, musste im Gesetz der großen Zahl liegen. Kein einzelner Schaltkreis für die Zeitsteuerung erreicht die Genauigkeit, mit der ein !Kung-Jäger seinen Speer oder ein Kricketspieler den Ball wirft. Vielmehr müssen viele solche Schaltkreise parallel arbeiten, und aus ihren Ergebnissen wird ein Durchschnittswert gebildet, der dann darüber bestimmt, wann die Hand das Geschoss loslässt. Jetzt kommt der springende Punkt. Warum sollte eine solche Gruppe von Steuerungsschaltkreisen für zeitliche Abläufe, die sich für den einen Zweck entwickelt hatte, nicht auch auf andere Weise nutzbar gemacht werden? Sprache ist ebenfalls auf genaue Zeitsteuerung angewiesen, und das Gleiche gilt für Musik, Tanz, ja sogar für die Planung zukünftiger Tätigkeiten. War das Werfen vielleicht der Vorläufer der Voraussicht? Werfen wir unsere Phantasie in die Zukunft wie einen Ball? Malte der Sprecher, der irgendwo in Afrika das erste Wort stammelte, sich dabei ein Geschoss aus, das von seinem Mund zu dem angesprochenen Hörer flog?
    Der vierte Bestandteil der Software, der nach meiner Vorstellung an der Koevolution von Soft- und Hardware beteiligt war, ist das «Mem», die Einheit der kulturellen Vererbung. Eine Ahnung davon haben wir bereits erhalten, als wir uns mit der epidemieartigen Verbreitung von Bestsellern befasst haben. Ich greife hier auf Bücher meiner Kollegen Daniel Dennett und Susan Blackmore zurück, die zusammen mit mehreren anderen Autoren konstruktive Beiträge zu einer Theorie der Memetik geleistet haben, seit das Wort 1976 geprägt wurde. Gene verdoppeln sich und wandern als Kopien von den Eltern zu den Nachkommen durch die Generationen. Ein Mem ist dementsprechend ein Gebilde, das durch einen beliebigen Kopiermechanismus verdoppelt und von Gehirn zu Gehirn weitergegeben wird. Ob der Vergleich zwischen Gen und Mem gute oder schlechte poetische Wissenschaft darstellt, ist umstritten. Bei ausgewogener Betrachtung halte ich ihn immer noch für gut, aber wenn man den Begriff im Internet sucht, stößt man auf eine regelrechte Fangemeinde, die es zum Teil heftig übertreibt. Offensichtlich entwickelt sich langsam sogar eine Art Religion der Meme – ich weiß nicht recht, ob das vielleicht ein Scherz sein soll.
    Meine Frau und ich leiden gelegentlich an Schlaflosigkeit, weil uns eine Melodie unbarmherzig und gnadenlos die ganze Nacht immer wieder im Kopf herumgeht. Bestimmte Themen, beispielsweise der «Masochism Tango» von Tom Lehrer, sind besonders schlimm. Die Melodie ist künstlerisch nicht gerade besonders wertvoll (im Gegensatz zum Text, der ausgezeichnete Reime enthält), aber wenn sie sich einmal festgesetzt hat, wird man sie fast nicht mehr los. Mittlerweile haben wir ein Abkommen getroffen: Wenn einem von uns tagsüber eine der gefährlichen Melodien durch den Kopf geht (weitere Übeltäter sind Lennon und McCartney), darf er diese unter keinen Umständen vor dem Schlafengehen singen oder pfeifen, damit der andere nicht angesteckt wird. Die Vorstellung, eine in einem Gehirn vorhandene Melodie könne ein anderes Gehirn anstecken, ist rein memetischer Natur.
    Das Gleiche kann man auch erleben, wenn man wach ist. Dennett erzählt in Darwins gefährliches Erbe (1997) folgende Anekdote:
     
    Vor einiger Zeit war ich peinlich berührt und sogar entsetzt, als ich mich dabei ertappte, wie ich herumlief und eine Melodie vor mich hinsummte. Es war kein Thema von Haydn oder Brahms oder Charlie Parker, ja noch nicht einmal von Bob Dylan: Ich summte voller Nachdruck «It Takes Two to Tango», einen gräßlichen und völlig wertlosen Ohrwurm, der unerklärlicherweise irgendwann in den fünfziger Jahren populär war. Ich bin mir sicher, daß ich diese Melodie nie in meinem Leben ausgesucht, geschätzt oder für besser als die Stille gehalten habe, und doch war sie da, ein entsetzliches musikalisches Virus, das in meinem Mempool mindestens ebenso widerstandsfähig war wie jede Melodie, die mir zur Zeit gefällt. Und was noch schlimmer ist: Dieses Virus habe ich jetzt auch in vielen von Ihnen wieder zum Leben erweckt, und Sie

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