Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der entzauberte Regenbogen

Der entzauberte Regenbogen

Titel: Der entzauberte Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
Vom Netzwerk:
gedacht hätte, als ein Felsbrocken von der Größe eines Berges mit 15   000 Stundenkilometern aus dem Weltraum angerast kam und auf der Halbinsel Yucatán einschlug, sodass die Welt im Dunkel versank? Stellen wir uns einmal Beethovens «Evolutionssymphonie» vor, ein Oratorium «Das expandierende Universum» von Haydn oder das Epos «Die Milchstraße» von Milton. Und was Shakespeare angeht … Aber so hoch brauchen wir gar nicht zu greifen. Beginnen wir mit einem weniger bekannten Dichter.
     
Ich stell mir vor, in einer Anderwelt
Urtümlich-dumpf und fern
In jener schauerlichen Stille, aus Seufzen nur und Summen,
Da schwirrten Kolibris durch die Alleen
     
Eh irgend etwas eine Seele hatte
Als Leben noch Materiepulsen war, erst halb erwacht,
Da splitterte dies Quentchen funkelnd ab
Und sirrte durch den weiten, schweren Stengelwald
     
Ich glaub, es gab noch keine Blüten,
in der Welt, da der Kolibri flirrend der Schöpfung voranflog.
Ich glaub, er trieb in träge Adern den langen Schnabel.
     
Wahrscheinlich war er groß
Wie Moose einst, heißt es, und Eidechsen.
Wahrscheinlich war er ein dolchendes Monster.
Wir sehn ihn vom falschen Ende des Zeitfernrohrs her.
Ein Glück für uns.
    Unrhyming Poems (1928)
     
    Dieses Gedicht von D. H. Lawrence über die Kolibris ist fast völlig falsch und deshalb bei oberflächlicher Betrachtung unwissenschaftlich. Dennoch ist es der durchaus annehmbare Versuch eines Dichters, sich durch erdgeschichtliche Zeiträume inspirieren zu lassen. Lawrence hätte nur ein paar Seminare über Evolution und biologische Systematik besuchen müssen, dann hätte er seinem Gedicht den Anstrich wissenschaftlicher Genauigkeit geben können, und es wäre deshalb als literarisches Werk nicht weniger fesselnd und anregend gewesen. Nach einem weiteren Seminar hätte Lawrence, der Sohn eines Bergmannes, mit anderen Augen auf sein Kohlenfeuer blicken können, dessen glimmende Energie zum letzten Mal das Licht des Tages sah – das Licht des Tages war –, als sie die Baumfarne der Karbonzeit wärmte, die dann im dunklen Schoß der Erde abgelegt und für drei Millionen Jahrhunderte versiegelt wurden. Ein größeres Hindernis wäre seine ablehnende Haltung gegenüber dem gewesen, was er zu Unrecht für den poesiefeindlichen Geist von Naturwissenschaft und Naturwissenschaftlern hielt; so murrte er:
     
    Das Wissen hat die Sonne getötet, sie zu einem Gasball mit Flecken gemacht … Die Welt der Vernunft und Wissenschaft … das ist die dürre, sterile Welt, in der das abstrakte Denken zu Hause ist.
     
    Nur ungern gebe ich zu, welcher Dichter mir von allen am liebsten ist: der verwirrte irische Mystiker William Butler Yeats. Er suchte im hohen Alter nach einem Thema, und seine Suche war vergeblich, sodass er schließlich voller Verzweiflung alte Themen aus seiner Jugendzeit, dem fin de siècle , noch einmal aufnahm. Wie traurig, dass er aufgab, allein gelassen im märchenhaften, übersinnlichen Irentum seiner hingebungsvollen Jugend, wo Irland doch nur eine Autostunde von seiner Festung entfernt das größte astronomische Teleskop seiner Zeit beherbergte. Es war der 72-Zoll-Spiegel, den William Parsons, der dritte Earl von Rosse, schon vor Yeats’ Geburt auf Birr Castle gebaut hatte (und den der siebte Earl dort mittlerweile restauriert hat). Was hätte ein einziger Blick durch das Okular des «Leviathan von Parsonstown» auf die Milchstraße für den frustrierten Dichter bedeuten können, der als junger Mann diese unvergesslichen Zeilen schrieb:
     
Still, still, du zitternd Herz, halt ein;
Gedenke der Weisheit aus alten Zeiten;
Den, der da zittert vor der Flamme, der Flut Gewalt
und den Winden aus sternenfunkelnden Weiten
mögen der Sternwind, die Flamme, der Flut Gewalt
verschlingen, denn er verdient nicht Teil zu sein
der einsamen, hehren Vielgestalt.
    The Wind Among the Reeds (1899)
     
    Das wären schöne letzte Worte für einen Naturwissenschaftler, und das Gleiche glaube ich jetzt, da ich darüber nachdenke, auch von der Grabinschrift des Dichters: «Schau kühlen Blickes, Reiter/aufs Leben, auf den Tod und ziehe weiter!» Aber wie Blake, so war auch Yeats kein Freund der Naturwissenschaft; er tat sie (absurderweise) als «Opium der Vorstädte» ab und rief dazu auf, gegen «Newtons Stadt» zu rebellieren. Das ist schade, und es gehört zu den Dingen, die mich veranlassen, meine Bücher zu schreiben.
    Auch Keats klagte, Newton habe die Poesie des Regenbogens zerstört, indem er ihn

Weitere Kostenlose Bücher