Der entzauberte Regenbogen
erklärte. Allgemeiner gesprochen ist die Naturwissenschaft demnach der Spielverderber der Poesie – trocken und kalt, freudlos und anmaßend, völlig ohne all das, wonach sich ein junger Romantiker sehnt. Das Gegenteil zu behaupten ist ein Zweck dieses Buches; zunächst einmal beschränke ich mich aber auf die nicht überprüfbare Spekulation, dass Keats vielleicht wie Yeats ein noch besserer Dichter gewesen wäre, hätte er einen Teil seiner Inspiration aus der Naturwissenschaft bezogen.
Häufig wurde darauf hingewiesen, Keats habe aufgrund seiner medizinischen Ausbildung die tödlichen Symptome der Tuberkulose an sich selbst erkennen können, als er die berühmte Untersuchung seines eigenen arteriellen Blutes vornahm. Wissenschaft war für ihn kein Überbringer guter Nachrichten, und deshalb wundert man sich weniger darüber, dass er seinen Trost in der keimfreien Welt der klassischen Mythen fand, zwischen Panflöten und Najaden, Nymphen und Dryaden, genau wie Keats zwischen ihren keltischen Entsprechungen. Ich finde beide Dichter unwiderstehlich, aber man möge mir verzeihen, wenn ich frage: Hätten die Griechen bei Keats oder die Kelten bei Yeats ihre Legenden wiedererkannt? Waren die Quellen der Inspiration den beiden Dichtern von größtmöglichem Nutzen? Haben nicht Vorurteile gegen die Vernunft die Schwingen der Poesie zu Boden gezogen?
Ich behaupte: Genau der gleiche Geist des Staunens, der Blake zur christlichen Mystik, Keats zu den Mythen Arkadiens und Yeats zu Feen und Geistern zog, bewegt auch die großen Naturwissenschaftler. Es ist ein Geist, der, wirkte er in wissenschaftlichem Gewand auf die Dichter zurück, zur Inspiration für noch großartigere Poesie werden könnte. Zur Bestätigung verweise ich auf das weniger gehobene Genre der Science-Fiction. Jules Verne, H. G. Wells, Olaf Stapledon, Robert Heinlein, Isaac Asimov, Arthur C. Clarke, Ray Bradbury und andere haben mit ihrer poetischen Prosa die Romantik naturwissenschaftlicher Themen heraufbeschworen und sie in manchen Fällen ganz ausdrücklich mit den Mythen der Antike verknüpft. In ihrer besten Form ist Science-Fiction nach meiner Überzeugung eine eigenständige, wichtige Form der Literatur, die von manchen Geisteswissenschaftlern snobistisch unterbewertet wird. Mehr als ein Naturwissenschaftler machte durch die Begeisterung für Science-Fiction zum ersten Mal die Bekanntschaft mit dem, was ich als Geist des Staunens bezeichne.
Am unteren Ende des Science-Fiction-Marktes wurde der gleiche Geist zu eher fragwürdigen Zwecken missbraucht, aber die Verbindung zur mystischen und romantischen Dichtung ist auch hier zu erkennen. Zumindest eine große Religionsgemeinschaft, die Scientology-Sekte, wurde von einem Science-Fiction-Autor gegründet: von L. Ron Hubbard (der im Oxford Dictionary of Citations mit der Bemerkung zitiert wird: «Wenn man schnell eine Million verdienen will … geht das am einfachsten mit einer eigenen Religion»). Die mittlerweile toten Anhänger des «Heavens Gate»-Kultes haben vermutlich nie erfahren, dass dieser Begriff zweimal bei Shakespeare und zweimal bei Keats vorkommt, aber sie wussten alles über Star Trek und waren besessen davon. Der Text ihrer Internetseiten ist eine groteske Karikatur missverstandener, von schlechter romantischer Poesie durchsetzter Naturwissenschaft.
Der Kult um Akte X wurde als harmlos eingestuft, weil es sich ja nur um Fiktionen handele. Vordergründig erscheint eine solche Verteidigung gerechtfertigt, aber Fiktionen, die regelmäßig wiederkehren – Seifenopern, Krimiserien und dergleichen –, werden zu Recht kritisiert, weil sie Woche für Woche systematisch die gleiche einseitige Weltsicht vermitteln. Akte X ist eine Fernsehserie, in der zwei FBI-Agenten jede Woche vor einem Rätsel stehen. Scully, die Frau, neigt zu rationalen, wissenschaftlichen Erklärungen; Mulder, der Mann, sucht nach Begründungen, die übernatürlich sind oder zumindest das Unerklärliche verherrlichen. Das Problem dabei: In Akte X erweist sich die übernatürliche Erklärung, oder zumindest Mulders Ende des Spektrums, regelmäßig als die richtige Antwort. In neueren Folgen, so wurde mir berichtet, lässt sich sogar Scully in ihrem Selbstvertrauen erschüttern – wen wundert’s.
Aber das sind doch nur harmlose, ausgedachte Geschichten, oder? Nein, für mich ist das ein schwaches Argument. Man stelle sich eine Fernsehserie vor, in der zwei Polizeibeamte jede Woche ein Verbrechen aufklären. Jede
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