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Der entzauberte Regenbogen

Der entzauberte Regenbogen

Titel: Der entzauberte Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Licht nur im Vakuum. Passiert es ein durchsichtiges Material wie Glas oder Wasser, verlangsamt es sich um einen Faktor, den man als «Brechungsindex» der Substanz bezeichnet. Auch von Luft wird es gebremst, allerdings nicht so stark.
    Aber warum macht sich die Verlangsamung als Veränderung eines Winkels bemerkbar? Läuft der Lichtstrahl geradewegs durch einen Glasblock, wird er zwar gebremst, aber er behält seinen Winkel bei (das heißt, er läuft geradeaus). Trifft er die Oberfläche jedoch schräg, wird er nicht nur langsamer, sondern auch in einem flacheren Winkel weitergeleitet. Warum? Die Physiker haben ein «Prinzip der kleinsten Wirkung» formuliert, das als letzte Erklärung zwar nicht völlig befriedigt, aber zumindest etwas Nachvollziehbares darstellt. Sehr gut wird das Thema in dem Buch Creation Revisited von Peter Atkins erläutert. Ein physikalisches Gebilde – in diesem Fall ein Lichtstrahl – verhält sich so, als strebte es nach Sparsamkeit, als versuchte es, irgendetwas so gering wie möglich zu halten. Man stelle sich einmal einen Rettungsschwimmer an einem Strand vor, der losläuft, um einem Kind das Leben zu retten. Jede Sekunde zählt und er muss das Kind in möglichst kurzer Zeit erreichen. Ein Mensch läuft schneller, als er schwimmt. Der Weg zum Kind ist am Ufer entlang schnell, durch das Wasser aber viel langsamer zurückzulegen. Angenommen, das Kind befindet sich, vom Standpunkt des Retters aus gesehen, nicht in gerader Linie vor ihm im Wasser. Welchen Weg wird er wählen, um die Zeit möglichst gering zu halten? Er könnte die Luftlinie mit der kürzesten Entfernung nehmen, aber sie wäre nicht gleichbedeutend mit der kürzesten Zeit, weil er einen zu großen Teil der Strecke im Wasser zurücklegen müsste. Stattdessen könnte er am Ufer entlang bis zu der Stelle laufen, die dem Kind unmittelbar gegenüberliegt, und dann geradeaus durch das Wasser schwimmen. Damit wird die Laufstrecke auf Kosten der Schwimmstrecke maximiert, aber auch das ist nicht ganz der schnellste Weg, weil insgesamt eine größere Entfernung zu überwinden ist. Wie man ohne weiteres erkennt, geht es am schnellsten, wenn der Retter genau im richtigen Winkel – der vom Verhältnis zwischen Lauf- und Schwimmgeschwindigkeit abhängt – zum Ufer läuft und dann den Rest des Weges in einem neuen Winkel durch das Wasser zurücklegt. In diesem Vergleich entsprechen Lauf- und Schwimmgeschwindigkeit dem Brechungsindex von Wasser und Luft. Natürlich «wollen» Lichtstrahlen ihre Laufzeit nicht absichtlich so gering wie möglich halten, aber wenn man unterstellt, dass sie unbewusst etwas Entsprechendes tun, erscheint ihr Verhalten ganz und gar sinnvoll. Man kann den Vergleich auch in Begriffen der Quantentheorie hieb- und stichfest machen, aber das würde hier zu weit führen; ich empfehle zu diesem Zweck das Buch von Atkins.
    Das Spektrum entsteht, weil Licht unterschiedlicher Wellenlänge unterschiedlich stark gebremst wird: Der Brechungsindex einer Substanz wie Glas oder Wasser ist für blaues Licht größer als für rotes. Man kann es sich so vorstellen, dass blaues Licht langsamer schwimmt, weil es sich mit seiner kurzen Wellenlänge im Gestrüpp der Glas- oder Wasseratome verfängt. In den weiter voneinander entfernten Atomen der Luft bleibt Licht aller Wellenlängen weniger stark hängen, aber auch hier wandert blaues Licht ein wenig langsamer als rotes. Nur im Vakuum, wo es überhaupt kein Gestrüpp gibt, hat Licht aller Farben die gleiche Geschwindigkeit: das große, universelle Maximum c . Bei Regentropfen ist alles viel komplizierter als bei Newtons Prisma. Da sie annähernd Kugelform besitzen, stellt ihre rückwärtige Oberfläche einen Hohlspiegel dar: Sie reflektieren das Sonnenlicht, nachdem sie es gebrochen haben; deshalb sehen wir den Regenbogen in dem der Sonne gegenüberliegenden Teil des Himmels und nicht, wenn wir durch den Regen in die Sonne blicken. Stellen wir uns einmal vor, wir stünden mit dem Rücken zur Sonne und blickten in einen Regenschauer, vorzugsweise vor einem dunkel bewölkten Hintergrund. Steht die Sonne höher als 42 Grad über dem Horizont, ist kein Regenbogen zu erkennen. Je niedriger die Sonne, desto höher der Regenbogen. Steigt sie morgens in die Höhe, sinkt ein eventuell sichtbarer Regenbogen tiefer. Geht die Sonne am Abend unter, hebt sich der Regenbogen. Nehmen wir einmal an, es sei früher Morgen oder später Nachmittag. Weiter unterstellen wir, dass jeder einzelne

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