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Der entzauberte Regenbogen

Der entzauberte Regenbogen

Titel: Der entzauberte Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Regentropfen eine kleine Kugel ist. Die Sonne steht hinter und ein wenig über uns, sodass ihr Licht in die Regentropfen fällt. An der Grenzfläche zwischen Luft und Wasser wird es gebrochen, und die verschiedenen Wellenlängen, aus denen das Licht besteht, werden aufgespalten wie in Newtons Prisma. Die aufgefächerten Farben fallen durch das Innere des Tropfens auf seine konkave Rückwand, wo sie zurück und abwärts reflektiert werden. Nun verlassen sie den Regentropfen, und ein paar von ihnen fallen in unser Auge. Beim Übergang vom Wasser in die Luft werden sie ein zweites Mal gebrochen, wobei die einzelnen Farben wiederum um unterschiedliche Winkel abgelenkt werden. Jeder einzelne Regentropfen strahlt also das vollständige Spektrum aus – rot, orange, gelb, grün, blau, violett –, und ein ganz ähnliches Spektrum kommt von den benachbarten Tropfen. Aber nur ein kleiner Teil des Spektrums aus jedem einzelnen Tropfen trifft unser Auge. Empfängt es von einem bestimmten Tropfen einen grünen Lichtstrahl, läuft das blaue Licht desselben Tropfens oberhalb und das rote unterhalb des Auges vorbei. Warum sehen wir dennoch einen vollständigen Regenbogen? Weil viele einzelne Regentropfen vorhanden sind. Ein Streifen aus vielen tausend Tropfen liefert uns grünes Licht (und würde jemandem, der sich entsprechend hoch über uns befände, blaues Licht liefern, während jemand unter uns das rote Licht dieser Tropfen sehen würde). Ein anderer Streifen aus vielen tausend Regentropfen versorgt uns mit rotem Licht (und jemand anderen mit blauem …), ein dritter Streifen liefert blaues Licht und so weiter. Alle Regentropfen, deren rotes Licht wir sehen, befinden sich in der gleichen Entfernung von uns – deshalb sehen wir einen gebogenen Streifen (wobei wir selbst in der Mitte des Kreises stehen). Auch die Entfernung aller Tropfen, die grünes Licht liefern, ist die gleiche, aber sie ist kürzer. Die Folge: Der von ihnen gebildete Kreis hat einen kleineren Radius und liegt innerhalb des roten Kreises. Noch weiter innen befindet sich der blaue Bogen – der ganze Regenbogen besteht aus einer Abfolge von Kreisen, in deren Mittelpunkt der Betrachter steht. Ein anderer Beobachter sieht einen anderen Regenbogen, der sich um ihn herum wölbt.
    Ein Regenbogen entspringt also keineswegs an einer bestimmten «Stelle», an der ein Topf mit Gold vergraben ist, sondern es gibt so viele Regenbögen, wie es Augen gibt, die in den Regen blicken. Verschiedene Beobachter, die von unterschiedlichen Orten aus denselben Regenschauer sehen, setzen sich jeweils aus einer anderen Kombination von Regentropfen ihren eigenen Regenbogen zusammen. Streng genommen sehen sogar die beiden Augen eines einzigen Menschen unterschiedliche Regenbögen. Und wenn wir «einen» Regenbogen beobachten, während wir eine Straße entlangfahren, sehen wir in Wirklichkeit viele Bögen in schneller Folge. Hätte Wordsworth das alles gewusst, dann hätte er die Zeilen «Es hüpft mein Herz/Seh ich am Himmel einen Regenbogen» nach meiner Überzeugung sicher besser formuliert (die nachfolgenden Zeilen allerdings, das muss ich zugeben, lassen sich kaum besser gestalten).
    Noch komplizierter wird die Angelegenheit, weil die Regentropfen auch selbst fallen oder vom Wind verweht werden. Deshalb durchquert jeder einzelne Tropfen beispielsweise zunächst den Streifen, der rotes Licht liefert, und dann den für die grünen Strahlen. Dennoch sehen wir einen unbeweglichen roten Streifen, weil immer neue Tropfen den Platz ihrer gefallenen Vorgänger einnehmen. In seinem liebenswürdigen Book of Rainbows zitiert Richard Whelan Leonardo da Vinci, der einem Malerkollegen rät:
     
    Willst du bewirken, dass die Nachbarschaft einer Farbe der anderen anstoßenden Farbe Anmuth verleihe, so bediene dich der Regel, die man die Sonnenstrahlen bei der Fügung des Bogens am Himmel … bilden sieht. Diese Farben erzeugen sich bei der Fortbewegung der Regentropfen, denn ein jedes Tröpflein verwandelt sich bei seinem Niederfall in jede der Farben dieses Bogens.
     
    Die Illusion des Regenbogens bleibt felsenfest bestehen, aber die Tropfen, die sie erzeugen, fallen und zerstieben im Wind. Coleridge schreibt:
     
    Der unerschütterliche Regenbogen im dahinziehenden, dahinrasenden Hagel-Schleier. Welche Konzentration von Bildern und Gefühlen, von phantastischer Dauerhaftigkeit mitten im raschen Wandel des Sturms – Ruhe die Tochter des Aufruhrs.
    Anima Poetae (1895)
     
    Auch sein Freund

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