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Der entzauberte Regenbogen

Der entzauberte Regenbogen

Titel: Der entzauberte Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Wordsworth war von der Unbeweglichkeit des Regenbogens inmitten der turbulenten Unruhe des Regens gefesselt:
     
Inzwischen stand, welch seltner Zufallsfügung
von Wind und Wolken immer es sich dankte,
Ein unversehrter Regenbogen groß
Und unbewegt am Himmel.
    The Prelude (1815)
     
    Seine Romantik bezieht der Regenbogen zum Teil aus der Illusion, er stehe immer weit entfernt über dem Horizont, als gewaltige Wölbung, die beim Näherkommen zurückweicht und niemals zu erreichen ist. Aber Keats’ Regenbogen war ganz nahe. Und manchmal sieht man einen Regenbogen als geschlossenen Kreis von wenigen Metern Durchmesser, der beim Vorüberfahren an einer Hecke entlangrast. (Halbkreisförmig sind Regenbögen nur deshalb, weil der Horizont den unteren Teil verdeckt.) Und dass Regenbögen so groß erscheinen, liegt zum Teil an der Illusion der Entfernung. Unser Gehirn projiziert das Bild nach außen auf den Himmel und verleiht ihm damit eine gewaltige Größe. Den gleichen Effekt kann man erreichen, wenn man in ein helles Licht blickt, sodass sich das Nachbild auf der Netzhaut «einprägt», und es anschließend durch einen Blick zum Himmel in die Ferne projiziert: Plötzlich sieht es riesengroß aus.
    Es gibt noch andere nette Komplikationen. Wie ich schon erwähnt habe, tritt das Licht in einen Regentropfen durch das obere, der Sonne zugewandte Viertel seiner Oberfläche ein, und es verlässt ihn durch das untere Viertel. Aber natürlich hindert nichts das Licht daran, auch im unteren Viertel in den Tropfen einzudringen. Unter geeigneten Bedingungen wird es im Inneren der kleinen Wasserkugel zweimal reflektiert; wenn es dann das untere Viertel des Tropfens verlässt und zum Auge des Beobachters gelangt, entsteht durch die nochmalige Brechung ein zweiter Regenbogen mit umgekehrter Farbreihenfolge, der um acht Grad über dem ersten zu liegen scheint. Und für jeden einzelnen Beobachter werden die beiden Regenbogen natürlich wiederum von einer anderen Tropfenpopulation erzeugt. Einen doppelten Regenbogen sieht man nur nicht besonders oft, aber Wordsworth muss es einmal erlebt haben, und dabei schlug sein Herz mit Sicherheit höher. Theoretisch kann es noch weitere, immer schwächere Regenbögen geben, die konzentrisch angeordnet sind, aber sie sind sehr selten. Kann irgendjemand ernsthaft behaupten, es verderbe die Freude, wenn man weiß, was im Inneren all der vielen tausend fallenden, glitzernden, reflektierenden und brechenden Regentropfen vorgeht? Ruskin schreibt in seinem 1856 erschienenen Buch Modern Painters III :
     
    Für die meisten Menschen ist unwissende Freude besser als kenntnisreiche; es ist besser, wenn man den Himmel nicht als schwarzen Hohlraum, sondern als blaues Gewölbe wahrnimmt, und die Wolke nicht als graupeligen Nebel, sondern als goldenen Thron. Ich bezweifle sehr, dass jemand, der in Optik bewandert ist, so religiös er auch sein mag, im gleichen Maße die Freude oder Andacht empfinden kann, die ein leseunkundiger Bauer beim Anblick eines Regenbogens verspürt … Wir können nicht das Geheimnis einer einzigen Blüte lüften, und es ist auch nicht dazu da, dass wir es tun; vielmehr soll das Verfolgen der Wissenschaft stets von der Liebe zur Schönheit und die Genauigkeit des Wissens stets von der Sanftheit der Gefühle begleitet sein.
     
    Das alles lässt irgendwie die Theorie plausibel erscheinen, wonach die Entdeckung, dass Frauen Schamhaare haben, dem armen Ruskin die Hochzeitsnacht verdarb.
    Im Jahr 1802, fünfzehn Jahre vor Haydons «unvergesslichem Abendessen», stellte der englische Physiker William Wollaston ein ähnliches Experiment an wie Newton, nur ließ er den Sonnenstrahl durch einen schmalen Spalt fallen, bevor er auf das Prisma traf. Das Spektrum, das aus dem Prisma austrat, bestand aus einer Reihe dünner Streifen mit unterschiedlicher Wellenlänge. Sie flossen ineinander und bildeten ein Spektrum, aber darin waren an bestimmten Stellen schwarze Linien zu erkennen. Der deutsche Physiker Joseph von Fraunhofer vermaß später die Linien und katalogisierte sie systematisch; deshalb sind sie heute nach ihm benannt. Die Fraunhofer-Linien bilden eine charakteristische Anordnung, eine Art Fingerabdruck – ein noch besserer Vergleich ist der Strichcode –, und diese Anordnung hängt davon ab, welche chemische Substanz die Strahlen durchquert haben. Wasserstoff lässt beispielsweise seinen eigenen, charakteristischen Strichcode aus Streifen und Zwischenräumen entstehen, Natrium

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