Der entzauberte Regenbogen
den beiden Ereignissen einen Zusammenhang gab. Also schob er den Kopf noch einmal in die Ecke. Und wie es der Zufall bei Skinners zeitgesteuertem Mechanismus wollte, kam noch einmal eine Belohnung. Hätte der Vogel das Experiment gemacht, den Kopf nicht in die Ecke zu stecken, hätte er festgestellt, dass er die Belohnung ohnehin erhielt. Aber dazu hätte es eines besseren Statistikers bedurft: Er hätte skeptischer sein müssen als viele Menschen.
Skinner stellte den Vergleich mit Glücksspielern an, die beim Kartenspiel häufig «Marotten» entwickeln. Ähnliches kennt man auch vom Boulespiel. Sobald der Spieler die Kugel aus der Hand gegeben hat, kann er nichts mehr tun, damit sie möglichst nahe zum «Schweinchen» (der Zielkugel) rollt. Dennoch laufen gewiefte Boulespieler fast immer neben ihrer Kugel her, häufig noch in der gebeugten Körperhaltung, wobei sie sich drehen und winden, als wollten sie der gleichgültigen Kugel verzweifelt ihre Anweisungen aufzwingen, und gleichzeitig rufen sie ihr vielfach aufmunternde Worte zu. Ein einarmiger Bandit in Las Vegas ist nicht mehr und nicht weniger als eine Skinner-Box für Menschen. Dem «Picken mit dem Schnabel» entspricht dabei nicht nur das Ziehen des Hebels, sondern natürlich auch der Geldeinwurf in den Schlitz. Es ist wirklich ein Spiel für Dummköpfe: Schließlich weiß man, dass die Chancen zugunsten des Casinos programmiert sind – wie sollte das Etablissement sonst seine gewaltigen Stromrechnungen bezahlen? Ob bei einer bestimmten Betätigung des Hebels der Jackpot freigegeben wird, bestimmt der Zufall. Ein Spielcasino ist ein ausgezeichnetes Pflaster für abergläubische Rituale. Beobachtet man die Spielsüchtigen in Las Vegas, sieht man Bewegungen, die stark an Skinners Tauben erinnern. Manche reden mit der Maschine. Andere machen ihr mit den Fingern seltsame Zeichen, schlagen darauf oder tätscheln sie mit der Hand. Sie haben einmal getätschelt und daraufhin den Jackpot gewonnen, und das werden sie nie mehr vergessen. Ich habe auch beobachtet, wie Computersüchtige ungeduldig auf die Antwort eines Servers warteten und sich dabei ganz ähnlich verhielten – sie klopften beispielsweise mit den Fingerknöcheln auf das Terminal.
Meine Bekannte, die mir über Las Vegas berichtete, führte auch einmal eine formlose Untersuchung bei Londoner Buchmachern durch. Sie erzählte mir von einem Spieler, der regelmäßig zunächst seine Wette abgab, dann zu einer bestimmten Fußbodenfliese lief und dort auf einem Bein stehen blieb, während er auf dem Fernsehschirm des Ladens das Rennen verfolgte. Vermutlich hatte er einmal gewonnen, als er gerade auf dieser Fliese stand, und nun war er überzeugt, es gebe einen Kausalzusammenhang. Steht gerade ein anderer auf «seiner» Glücksfliese (manche anderen Spieler tun das absichtlich, vielleicht um an seinem «Glück» teilzuhaben oder um ihn einfach nur zu ärgern), tanzt er um sie herum und versucht verzweifelt, einen Fuß auf die Fliese zu bekommen, bevor das Rennen zu Ende ist. Andere Spieler weigern sich, während einer «Glückssträhne» das Hemd zu wechseln oder sich die Haare schneiden zu lassen. Ganz anders ein irischer Glücksspieler mit kräftigem, vollem Haupthaar: Er ließ sich in dem verzweifelten Bemühen, sein Schicksal zu wenden, völlig kahl rasieren. Seine Hypothese: Er hatte Pech mit den Pferden und kräftige Haare – vielleicht gab es da ja einen Zusammenhang; vielleicht war das alles Teil einer sinnvollen Gesetzmäßigkeit! Bevor wir nun allzu überheblich werden, sollten wir daran denken, dass viele von uns in dem Glauben aufgewachsen sind, Samsons Schicksal sei besiegelt gewesen, nachdem Dalila ihm die Haare abgeschnitten hatte.
Woher wissen wir, welche scheinbaren Gesetzmäßigkeiten echt sind und bei welchen es sich um belanglose Zufälligkeiten handelt? Dafür gibt es Methoden, die in die Wissenschaftsdisziplinen Statistik und Versuchsdesign gehören. Ich möchte hier noch ein wenig verweilen und einige Prinzipien der Statistik erklären, ohne allerdings in die Einzelheiten zu gehen. Statistik ist eigentlich im Wesentlichen die Kunst, Gesetzmäßigkeiten von Zufällen zu unterscheiden. Zufälligkeit ist gleichbedeutend mit dem Fehlen eines Zusammenhanges. Man kann die Begriffe «Zufall» und «Gesetzmäßigkeit» auf unterschiedliche Weise erklären. Angenommen, ich behaupte, ich könne die Handschriften von Jungen und Mädchen unterscheiden. Wenn ich Recht habe, bedeutet das, dass es
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