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Der entzauberte Regenbogen

Der entzauberte Regenbogen

Titel: Der entzauberte Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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intuitiv durchaus sinnvoll.
    Tauben und Ratten sind also recht gute Statistiker: Sie erkennen in ihrer Welt schwache statistische Gesetzmäßigkeiten. Diese Fähigkeit ist ihnen in der Natur wahrscheinlich ebenso nützlich wie in der Skinner-Box. In freier Wildbahn gibt es viele Gesetzmäßigkeiten; die Welt ist eine große, komplizierte Skinner-Box. Auf die Handlungen eines Wildtieres folgen häufig Belohnungen, Strafen oder andere wichtige Ereignisse. Und häufig besteht zwischen Ursache und Wirkung kein absoluter, sondern ein statistischer Zusammenhang. Wenn ein Brachvogel mit seinem langen, gebogenen Schnabel im Schlamm stochert, besteht eine bestimmte Wahrscheinlichkeit, dass er dabei auf einen Wurm trifft. Der Zusammenhang zwischen Stocherereignissen und Wurmereignissen ist echt, aber statistisch. Um die so genannte Theorie der optimalen Futtersuche hat sich eine ganze zoologische Denkschule gebildet. Wildvögel besitzen eine recht verwickelte Fähigkeit, auf statistischer Grundlage den relativen Nahrungsreichtum verschiedener Gebiete zu beurteilen und den Zeitaufwand für diese Bereiche entsprechend einzuteilen.
    Aber zurück ins Labor. Skinner wurde zum Begründer einer großen Forschungsrichtung, die Skinner-Boxen gezielt für alle möglichen Zwecke einsetzte. Im Jahr 1948 probierte er es dann mit einer genialen Abwandlung der üblichen Methode. Er beseitigte den Kausalzusammenhang zwischen Verhalten und Belohnung völlig. Der Apparat war so eingestellt, dass er die Taube von Zeit zu Zeit «belohnte», ganz gleich, was sie tat . Die Vögel hätten nichts anderes zu tun brauchen, als sich hinzusetzen und auf die Belohnung zu warten. In Wirklichkeit verhielten sie sich aber nicht so, sondern in sechs von acht Fällen entwickelten sie ein Verhalten, das Skinner als «abergläubisch» bezeichnete und das genau der durch Belohnungen erlernten Gewohnheit glich. In den Einzelheiten sah das von einem Tier zum nächsten unterschiedlich aus. Ein Vogel drehte sich zwischen den «Belohnungen» wie ein Kreisel im Gegenuhrzeigersinn zwei- oder dreimal um die eigene Achse. Ein anderer schob den Kopf mehrmals in eine bestimmte obere Ecke der Kiste. Ein Dritter zeigte ein «Schleuderverhalten», als wolle er mit dem Kopf einen unsichtbaren Vorhang lüften. Zwei Vögel entwickelten unabhängig voneinander die Gewohnheit, Kopf und Körper wie ein Pendel von einer Seite zur anderen schwingen zu lassen. Nebenbei bemerkt: Diese letzte Gewohnheit muss ausgesehen haben wie der Balztanz mancher Paradiesvögel. Skinner sprach von «Aberglauben», weil seine Vögel sich so verhielten, als schrieben sie ihrer Bewegung einen kausalen Einfluss auf den Belohnungsmechanismus zu, obwohl es einen solchen Einfluss nicht gab. Es war bei den Tauben die Entsprechung zum Regentanz.
    Wenn sich eine abergläubische Gewohnheit durchgesetzt hat, kann sie stundenlang erhalten bleiben, auch wenn der Belohnungsmechanismus längst abgeschaltet wurde. Die Form der Gewohnheit blieb allerdings keineswegs gleich. Sie wandelte sich wie die immer weiter fortschreitenden Improvisationen eines Organisten. In einem typischen Fall bestand die abergläubische Gewohnheit der Taube zunächst darin, dass sie mit dem Kopf eine plötzliche Bewegung aus der mittleren Position nach links vollführte. Im Laufe der Zeit wurde die Bewegung immer energischer. Schließlich bewegte sich der ganze Körper in die gleiche Richtung und der Vogel machte mit den Beinen einen oder zwei Schritte. Nach mehrstündiger «topographischer Verschiebung» wurden diese Schritte nach links zum beherrschenden Merkmal des ganzen Rituals. Das abergläubische Verhalten selbst leitet sich vermutlich vom natürlichen Repertoire der Spezies ab, aber man kann mit Fug und Recht behaupten, dass es in diesem Zusammenhang und in seiner wiederholten Ausführung für Tauben unnatürlich ist.
    Skinners abergläubische Tauben verhielten sich wie Statistiker, allerdings wie solche, die etwas falsch verstanden haben. Sie achteten auf Zusammenhänge zwischen verschiedenen Ereignissen in ihrer Welt, insbesondere auf Zusammenhänge zwischen einer Belohnung, die sie sich wünschten, und Tätigkeiten, die in ihrer Macht standen. Eine Gewohnheit wie die, den Kopf in die Ecke des Käfigs zu stecken, war anfangs etwas Zufälliges. Der Vogel tat es einfach, und kurz darauf trat der Belohnungsmechanismus in Aktion. Wie nicht anders zu erwarten, entwickelte der Vogel daraufhin die vorläufige Hypothese, dass es zwischen

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