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Der entzauberte Regenbogen

Der entzauberte Regenbogen

Titel: Der entzauberte Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Wirklichkeit ausschließlich der Zufall am Werk ist. Der p-Wert ist ein Maß für die Wahrscheinlichkeit, dass man einen Fehler des Typs 1 gemacht hat. Um statistische Urteile abzugeben, muss man sich immer zwischen den beiden Fehlertypen hindurchlavieren. Es gibt auch noch einen Fehler des Typs 3 – wenn einen das Gedächtnis völlig verlässt, sobald man sich daran zu erinnern versucht, welches der Typ 1 und welches der Typ 2 ist. Ich benutze die Begriffe schon mein ganzes Leben lang und muss immer noch nachschlagen. Wenn es darauf ankommt, bediene ich mich deshalb lieber der Bezeichnungen falsch-positiv und falsch-negativ, die man sich leicht merken kann. Übrigens unterlaufen mir auch häufig Rechenfehler. In der Praxis würde ich nicht im Traum auf die Idee kommen, bei einem statistischen Test von den Grundprinzipien auszugehen, wie ich es in dem Beispiel mit den Handschriften getan habe. Ich habe immer in einer Tabelle nachgesehen, die ein anderer – vorzugsweise ein Computer – bereits errechnet hatte.
    Skinners abergläubische Tauben begingen falsch-positive Fehler. In ihrer Welt gab es in Wirklichkeit keine Gesetzmäßigkeit, keinen Zusammenhang zwischen ihren Handlungen und der Tätigkeit des Belohnungsmechanismus – aber sie verhielten sich so, als wäre eine solche Gesetzmäßigkeit vorhanden. Eine Taube «dachte» (oder verhielt sich, als ob sie dachte), dass zwei Schritte nach links den Apparat veranlassten, Futter abzugeben. Eine andere «dachte», der gleiche Effekt sei zu erzielen, wenn sie den Kopf in eine Ecke des Käfigs streckte. Beide begingen einen falsch-positiven Fehler. Einen falsch-negativen Fehler würde eine Taube in der Skinner-Box machen, wenn sie nie bemerkt, dass die Betätigung des Schalters bei Aufleuchten eines roten Lichtes Futter zutage fördert, während die Betätigung des Schalters bei blauem Licht zu einer Bestrafung führt, weil der Mechanismus dann zehn Minuten lang abgeschaltet wird. In der kleinen Welt dieser Skinner-Box wartet ein echter Zusammenhang darauf, entdeckt zu werden, aber die hypothetische Taube findet ihn nicht. Sie pickt unterschiedslos bei beiden Farben und wird deshalb seltener belohnt, als es sonst möglich wäre.
    Einen falsch-positiven Fehler begeht auch der Bauer, der mit einem Opfer an die Götter den lang ersehnten Regen herbeirufen will. Ich vermute (allerdings habe ich die Frage nicht experimentell untersucht), dass es in seiner Welt keinen solchen Zusammenhang gibt, aber das bemerkt er nicht, sondern er beharrt auf seinen nutzlosen, verschwenderischen Opfern. Falsch-negativ ist der Fehler eines Bauern, der den tatsächlich vorhandenen Zusammenhang zwischen der Düngung eines Feldes und dem Getreideertrag im folgenden Jahr nicht bemerkt. Gute Bauern finden den Mittelweg zwischen solchen Fehlern der Typen 1 und 2.
    Nach meiner Überzeugung verhalten sich alle Tiere mehr oder weniger wie intuitive Statistiker: Sie wählen einen mittleren Weg zwischen Fehlern der Typen 1 und 2. Die natürliche Selektion bestraft beide Arten von Irrtümern, aber die Strafen sind nicht symmetrisch verteilt und unterscheiden sich zweifellos je nach der Lebensweise der jeweiligen Spezies. Manche Raupen ähneln so stark dem Zweig, auf dem sie sitzen, dass kein Zweifel möglich ist: Die natürliche Selektion hat sie so gestaltet, dass sie wie ein Zweig aussehen. Bis dieses wunderschöne Ergebnis erreicht war, mussten viele Raupen sterben – sie ähnelten einem Zweig nicht stark genug und wurden deshalb von Vögeln oder anderen natürlichen Feinden ausfindig gemacht. Selbst einige Exemplare, die Zweige gut nachahmten, wurden gefunden. Wie sonst hätte die natürliche Selektion den Grad der Vollkommenheit zuwege bringen können, den wir beobachten? Aber ebenso müssen Vögel viele Raupen übersehen haben, auch wenn diese in manchen Fällen nur entfernt einem Zweig ähnelten. Jedes Beutetier kann bei idealen Sichtbedingungen von einem natürlichen Feind ausgemacht werden, ganz gleich, wie gut es getarnt ist. Ebenso können die natürlichen Feinde jedes Beutetier bei mäßigen Sichtverhältnissen übersehen, auch wenn es sich nur schlecht unkenntlich macht. Die Sichtverhältnisse schwanken je nach dem Blickwinkel (hat der Verfolger das Beutetier unmittelbar vor sich, kann er es unter Umständen ausmachen, selbst wenn es gut getarnt ist; aus dem Augenwinkel dagegen übersieht er vielleicht auch eine schlecht getarnte Beute), der Helligkeit (in der Dämmerung wird die Beute

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