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Der Erbe der Nacht

Titel: Der Erbe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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geschickt?« wollte H. P. wissen.
    Er ignorierte meine Frage einfach.
    »Nein«, antwortete ich müde.
    »Und wie ist er gestorben? Es hieß, es hätte einen Unfall gegeben.«
    »Es war kein Unfall. Aber das ist eine lange Geschichte«, antwortete ich ausweichend. »Und ich weiß nicht, ob «
    »Ob Sie sie mir erzählen können?« H. P. lächelte, wurde aber sofort wieder ernst. »Sie können es, Robert.
    Ihr Großvater und ich waren Freunde. Ich weiß alles.«
    Seine Worte überraschten mich nicht. Und ich spürte, daß er die Wahrheit sprach. »Dieser Mann, von dem er erzählte«, sagte ich zögernd. »Der Fremde, der ihm das Haus und all das Geld und … und das Kind gebracht hat « Ich zögerte wieder einen Moment, dann hob ich den Kopf und sah ihm fest ins Gesicht.
    »Das waren Sie, nicht wahr?«
    H. P. nickte. »Ja. Das war ich. Und jetzt erzählen Sie von Anfang an. Wir haben viel Zeit.«
    Ich begann sofort zu reden. Und es dauerte sehr, sehr lange.
    Rowlf brachte uns eine neue Flasche Portwein, schenkte mit geschickten Bewegungen ein und schlurfte wieder aus dem Zimmer. Ich sah ihm nach, bis er die Tür hinter sich zugezogen hatte, und unterdrückte ein Gähnen. Meine Augen brannten; zum einen Teil von den dünnen schwarzen Zigarren, die H. P.
    ununterbrochen rauchte, zum andern Teil auch schlicht aus Müdigkeit. Durch die Ritzen der vorgelegten Läden sickerte das graue Licht der heraufziehenden Dämmerung. Wir hatten die ganze Nacht geredet, und längst nicht nur über das, was in jenen schrecklichen Stunden geschehen war H. P. hatte mich über alles und jedes ausgefragt, beginnend mit den ersten Jahren meines Lebens, an die ich mich zu erinnern vermochte.
    Und ich hatte ihm getreulich geantwortet. Mir war klar geworden, daß es wichtig war und daß vom Ausgang dieses Verhöres viel abhing. Mein anfängliches Unbehagen war im Lauf der vielen Stunden einem gewissen Vertrauen diesem seltsamen Mann gegenüber gewichen.
    »Wenn du müde bist«, sagte H. P.. wir waren sehr bald zum vertrauten Du übergewechselt »legen wir uns schlafen.
    Wir können später weiterreden.«
    Ich wehrte mit einem Kopfschütteln ab, schirmte mit der Hand ein Gähnen ab und griff nach meinem Portweinglas, um mich dahinter zu verkriechen. Ich spürte, daß ich zuviel getrunken hatte, aber meine Lippen brannten vom langen Reden, und mein Gaumen fühlte sich ausgetrocknet an, als hätte ich wochenlang gedurstet. Ich war müde, hundemüde sogar. Aber jetzt einfach ins Bett zu gehen, so als wäre nichts passiert, kam nicht in Frage. »Danke«, sagte ich. »Es geht schon noch.« Ich wies mit einer Kopfbewegung zum Fenster.
    »Es lohnt ohnehin nicht mehr, sich schlafen zu legen. Ehe ich zu Hause bin, ist längst Frühstückszeit.«
    H. P. runzelte die Stirn und sog wieder an seiner schwarzen Zigarre. »Du kannst hier schlafen«, sagte er. »Es sind genug Betten frei.«

    Für einen Moment war ich fast versucht, sein Angebot anzunehmen. Dieses Haus hier war mir noch genauso unheimlich wie gestern nacht, aber der Gedanke, wieder zum Ashton Place und damit in die Nähe dieser fürchterlichen Uhr zurückzukehren, gefiel mir ebensowenig. Trotzdem schüttelte ich den Kopf.
    »Das geht nicht. Man erwartet mich. Mary wird sich sowieso Sorgen machen, wo ich bleibe nach allem, was passiert ist.«
    »Ich würde sie gerne kennenlernen«, sagte er nach einer Weile. »Wenn du nichts dagegen hast.«
    »Warum sollte ich?«
    Er zuckte mit den Achseln, schnippte seine Asche in den Kamin und gähnte hinter vorgehaltener Hand. Er mußte ebenso müde sein wie ich. Aber es gab noch so viel zu bereden. H. P.
    hatte alles von mir erfahren, was er wissen wollte, aber ich selbst hatte nicht mehr als drei oder vier Fragen stellen können.
    Dabei war ich ja eigentlich hierhergekommen, um ihn auszu-fragen.
    »Du warst ein guter Freund meines Großvaters?« fragte ich.
    »Um ehrlich zu sein: nein. Ich kannte ihn, viel besser, als er glaubte, aber das mußte ich auch, wenn ich dich ihm anvertrau-en wollte. Und ich glaube, meine Wahl war trotz allem gut.« Er sah mich für einen Moment auf seltsame Weise an, ehe er weitersprach: »Ich war ein sehr guter Freund deines Vaters.«
    Etwas leiser und mit deutlich veränderter Stimme fügte er hinzu: »So wie er mein einziger Freund war.«
    Ein sonderbar weicher Zug trat auf sein Gesicht, der zu seinem heftigen Wesen nicht recht paßte. Aber ich hatte noch eine andere Frage. Eine, die mich seit zwei Tagen quälte, und vor der

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