Der Erbe der Nacht
viel: Dein Vater und ich fanden heraus, daß die Legende um die Großen Alten auf Wahrheit beruht. Und wir fanden noch mehr heraus.
Damals, als die Großen Alten sich gegen die älteren Götter auflehnten, wurde dieser Planet völlig verwüstet. Nur sehr wenige Lebensformen überstanden die Katastrophe. Aber selbst den älteren Göttern war es nicht möglich, Cthulhu und die anderen Großen Alten zu vernichten. Sie kerkerten sie ein.«
Das alles wußte ich; ich hatte es im Necronomicon gelesen.
Aber H. P. gebot mir mit einer raschen Geste, still zu sein, als ich ihn unterbrechen wollte.
»Sie verschlossen dieses Gefängnis, Robert. Mit einem magischen Siegel, das sie in sieben Teile zerbrachen, die über die ganze Welt verstreut wurden. So entstanden die SIEBEN
SIEGEL DER MACHT. Seither gilt das ganze Trachten der Großen Alten und ihrer Diener dem Zweck, diese sieben Siegel wieder zusammenzufügen und somit den Kerker zu öffnen, in dem sie seit Millionen Jahren warten.« Er atmete hörbar ein, warf seine heruntergebrannte Zigarre in die Teetasse vor sich und zündete sich sofort eine neue an.
»Wir erfuhren damals, daß jene finsteren Mächte dabei waren, diese sieben Siegel aufzuspüren. Dein Vater und ich konnten es verhindern, auch wenn es nicht leicht war. Es gelang deinem Vater, sechs der sieben Siegel in seinen Besitz zu bringen und in dieses Haus zu schaffen. Das siebente Siegel wurde nie gefunden. Wir wähnten uns am Ziel, zumal es uns gleichzeitig gelang, auch Priscilla zu befreien und nach London mitzunehmen. Dein Vater und seine Frau starben in ihrer Hochzeitsnacht, Robert, wußtest du das?«
Nein, das wußte ich nicht. »Dann war Priscilla …«
»Nicht deine Mutter?« H. P. lächelte auf sehr sonderbare Weise. »Nein. Aber zurück zu jener Nacht, Robert. Wir …
wissen bis heute nicht, was damals geschah, aber nach all der Zeit glaube ich, daß jemand versuchte, die SIEBEN SIEGEL
DER MACHT zusammenzufügen, hier in diesem Haus und in der Hochzeitsnacht deines Vaters. Ich war dabei, Robert
wenigstens beinahe. Ich saß in einer Kutsche dort draußen auf der Straße, auf der anderen Seite des Platzes, und ich sah, was geschah. Mir waren die Hände gebunden, so daß ich nicht eingreifen konnte, aber ich wurde Zeuge, wie …« Er stockte einen Moment, schien nach den richtigen Worten zu suchen.
»Ich kann es nicht anders ausdrücken«, murmelte er schließ-
lich. »Die Hölle brach auf. Ich … ich sah, wie das Siegel zusammengefügt wurde und die Großen Alten erwachten. Für den tausendsten Teil einer Sekunde … lebten sie.«
»Und … dann«, fragte ich, als er nicht weitersprach, sondern sichtlich um seine Fassung kämpfte. Sein Gesicht war grau vor Schrecken. Allein die Erinnerung, die er mit seinen Worten heraufbeschwor, schien beinahe über seine Kräfte zu gehen.
Er gab sich einen Ruck und sog wieder an seiner Zigarre.
»Ich weiß es nicht«, gestand er. »Gray und Rowlf und ich, wir
… wir haben immer und immer wieder überlegt, was geschehen sein könnte, aber wir wissen es einfach nicht. Wir wissen weder, wer das siebente Siegel in dieses Haus brachte, noch, was dann geschah.«
Aber ich wußte es. Plötzlich stand die bizarre Szene deutlich vor meinem inneren Auge. Priscilla, die mit haßverzerrtem Gesicht über dem Mann stand, der nur mein Vater sein konnte.
Das Gewitter, ein tobender Weltuntergang, das am Haus rüttelte …
Ich schüttelte die Erinnerung ab und forderte H. P. mit einer Geste auf, weiterzusprechen.
»Unser Hiersein allein beweist, daß es deinem Vater gelang, das Zusammenfügen der Siegel im letzten Augenblick zu verhindern«, fuhr er mit mühsam beherrschter Stimme fort.
»Wir wissen nicht, wie, aber er bezahlte dafür mit dem Leben.
Das Feuer, das anschließend ausbrach, tötete ihn und Priscilla und verzehrte Andara-House bis auf die Grundmauern. Und die sechs Siegel waren verschwunden.«
»Und jetzt glaubst du, daß … daß das irgend etwas mit mir zu tun hat?« fragte ich.
H. P. schwieg wieder eine ganze Weile. »Nicht nur mit dir«, sagte er schließlich. »Alles war sehr sonderbar, damals.
Niemand begriff, was wirklich geschehen war. Aber ich hatte einen Verdacht. Die Sterne, Robert.«
Ich sah ihn fragend an.
»Die Heimat der älteren Götter ist ein Planet der roten Sonne Beteigeuze«, fuhr er erklärend fort. »Ebenso wie die der Großen Alten. Dieser Stern stand damals in einer ganz bestimmten Konstellation.«
»Und diese Konstellation
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