Der Erbe der Nacht
wiederholt sich alle einhundert Jahre«, mutmaßte ich.
H. P. nickte sehr ernst. »Ja. Und dann ist da auch die Uhr, Robert. Die Uhr überstand den Brand unversehrt, und ich glaube jetzt zu wissen, warum.«
»So?«
»Dein Vater war kein normaler Mensch, vergiß das nicht. Er war ein Hexer, ein Mann mit großer magischer Macht, genau wie du, denn du bist sein Erbe. Ich glaube, daß er sie geschützt hat, irgendwie.«
»Aber warum?«
H. P. antwortete nicht sofort, und als er es tat, da spürte ich, daß er mehr wußte, als er zugab. »Ich habe nur eine Vermutung«, sagte er, »die wir erst überprüfen müssen.«
»Und wie?« erkundigte ich mich.
»Wir müssen herausfinden, was in jener Nacht wirklich geschah, Robert«, antwortete er. »Und was das alles hier bedeutet. Aber das können wir nur mit deiner Hilfe.«
»Mit meiner Hilfe?«
»Ich weiß nicht, ob es klappt«, antwortete H. P. »Aber wenn uns jemand helfen kann, dann bist du es. Ich …« Er stockte und sah mich fast verlegen an. »Ich möchte jemanden hierherbringen, heute abend«, sagte er schließlich. »Eine gute alte Freundin, wenn du so willst, Lady Audley McPhaerson du hast sicher schon von ihr gehört.«
Das hatte ich nicht, aber ich nickte trotzdem, schon um Zeit zu sparen. »Und was soll deine Freundin hier?« fragte ich vorsichtig.
»Sie wird uns helfen«, antwortete H. P. »Lady McPhaerson ist ein Medium, Robert. Ich möchte in diesem Haus eine Séance abhalten.«
Eine Séance …
Ich muß gestehen, daß dieser Vorschlag dem Vertrauen, das ich H. P. bis dahin fast uneingeschränkt entgegengebracht hatte, einen gehörigen Knacks versetzte. Ich hatte keinen Moment daran gezweifelt, daß er mir in allem die Wahrheit sagte, ganz egal, wie phantastisch die Geschichte auch klingen mochte.
Aber eine Séance? Eine Geisterbeschwörung mit allem, was dazugehörte Händehalten, Kerzenschein und Tischerücken?
Das erschien mir schlichtweg lächerlich. Ganz vorsichtig ausgedrückt. Trotzdem widersprach ich nicht, sondern entließ ihn mit der Zusage, ihn und Lady Audley McPhaerson gegen zwölf zu erwarten.
Ich verbrachte den größten Teil des restlichen Tages damit, den versäumten Schlaf nachzuholen allerdings auf der Couch im Salon, da ich mich nicht in mein Zimmer hinaufgewagt hatte.
Als ich erwachte genauer gesagt, von Mary geweckt wurde , war es neun Uhr vorbei, und sie verkündete mit reichlich beleidigtem Gesichtsausdruck, daß mein Essen im Speisezimmer am Tisch stünde und sie jetzt gehen würde, da sie wie ich doch wisse heute abend frei habe und bei ihrer Schwester übernachte. Ich bedankte mich artig und war im stillen froh, daß sie sich nicht mit den Worten verabschiedete, mein Essen stehe im Kochbuch auf Seite sowieso verärgert genug dazu war sie.
Verständlicherweise, wie ich zugeben mußte, denn was in den letzten Tagen in ihren heiligen Hallen vorging, das überstieg alles, was sie von mir an Verrücktheiten gewohnt war. Ich würde mit ihr reden müssen, in den nächsten Tagen.
Ich wollte sie nicht verlieren.
Für heute aber war ich froh, allein zu sein und keine weiteren Fragen beantworten zu müssen. Das heißt einerseits war ich froh, in Ruhe gelassen zu werden.
Andererseits aber machte mir die Vorstellung Angst, allein in diesem Haus mit seinen bedrohlichen Schatten und unheimlichen Geräuschen zu sein. Als ich Mary in den Mantel half, war ich für einen kurzen Moment nahe daran, sie zu bitten, hierzu-bleiben und mir wenigstens beim Essen noch Gesellschaft zu leisten, was sie zweifellos getan hätte. Aber dann dachte ich daran, daß sie ein wenig Entspannung wohl auch bitter nötig hatte und beherrschte mich.
Aber ich ertappte mich dabei, jedes nur erreichbare Licht anzuknipsen, als ich mir mein Essen aus dem ungemütlichen Speisezimmer in den Salon holte. Außerdem schaltete ich den Fernseher ein, drehte den Ton herunter und legte eine Kassette in den Recorder.
Lärm und Licht und bunte Bilder erfüllten mit einemmal den Raum, und so absurd es klingt, dieses Spektakel schien wirklich zu helfen, die Furcht, die aus den Schatten hervorkrie-chen wollte, zu bannen. Im Grunde und dessen war ich mir vollkommen bewußt benahm ich mich nicht anders wie ein ängstliches Kind, das in den Keller gehen muß und dabei lauthals pfeift.
Aber warum auch nicht?
Trotzdem schien die Zeit nicht zu vergehen. Ich bestach Merlin mit dem Großteil des Bratens, der eigentlich für mich bestimmt war, mir Gesellschaft zu leisten, aber
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