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Der Erbe der Nacht

Titel: Der Erbe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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es war nicht einmal zehn, als alle Teller und Platten restlos geleert waren und der undankbare Kater sich in die Küche trollte, um über seinen Futtertrog herzufallen, dessen Inhalt er sich natürlich aufgespart hatte. Noch zwei Stunden, bis H. P. kam. Dieses Haus, das ich bisher als mein Heim angesehen hatte, flößte mir neuerdings panische Angst ein.
    Nur um mich auf andere Gedanken zu bringen, nahm ich ein Buch vom Regal und begann zu lesen, klappte es aber wieder zu, als ich merkte, daß ich zum fünften Mal die gleiche Seite las, ohne zu wissen, was darauf stand. Wo blieb H. P.?
    Mein Blick irrte zu der kleinen Digitaluhr, die in den Fernseher eingebaut war. Und ich erstarrte.
    Das Bild hatte gewechselt. Es zeigte jetzt nicht mehr den Nachrichtensprecher oder irgendeinen dummen Spielfilm, sondern ja, was eigentlich?
    Es war eine Art Landschaft: eine gewaltige, finstere Ebene, in deren Mitte ein runder See glänzte, der aber Kein Wasser, sondern etwas wie geschmolzenes Pech zu beinhalten schien.
    Weit am Horizont waren die Silhouetten gewaltiger, scharfzak-kiger Berge zu erkennen, und am Ufer des Teersees suhlten sich unsagbar gräßliche Kreaturen.
    Ich schauderte. Was war das? Ein besonders geschmackloser Horrorfilm?
    Das Bild war schwarz-weiß, was aber einfach daran lag, daß es in dieser finsteren Welt keine anderen Farben gab als Schwarz und Weiß und alle nur möglichen Grauschattierungen, und es war nicht flach, sondern eindeutig dreidimensional. Eine grause Ahnung stieg in mir auf: Dies war kein Film, keine Fernsehübertragung. Mein Fernseher war zu einem Fenster geworden, durch das ich einen Blick in eine fürchterliche Alptraumwelt warf. Laute drangen an mein Ohr, wie sie kein Mensch je vernommen hatte. Ein eisiger, übelriechender Hauch erfüllte das Zimmer. Der Sessel, auf dem ich saß, schien ganz sacht zu vibrieren.
    Und dann begann eines der scheußlichen Lebewesen am Seeufer auf mich zuzukriechen. Die Bewegung wirkte langsam, doch dieser Eindruck entstand bloß dadurch, daß der See so weit entfernt war. In Wirklichkeit war die Kreatur rasend schnell, und sie mußte wahrhaft gigantisch sein.
    Mit zitternden Fingern tastete ich nach der Fernbedienung, richtete sie auf den Fernseher, zögerte einen Moment und drückte den OUT-Knopf.
    Das Wunder geschah. Der Fernseher erlosch. Die chthonische Landschaft verschwand, und mit ihr der Geruch und die unheimlichen Laute.
    Verwirrt saß ich da, starrte die grau gewordene Mattscheibe an und fragte mich, was das gewesen sein mochte eine neuerliche Halluzination? Dafür war es beinahe zu realistisch gewesen. Aber was war es, bei allen Göttern, dann?
    Ich stand auf, trat an die Bar wobei ich einen gewaltigen Bogen um den Fernsehapparat schlug und schenkte mir einen dreistöckigen Cognac ein. Der Alkohol brannte in meiner Kehle, und eine Sekunde später schien mein Magen lautlos zu explodieren, aber die beruhigende Wirkung, die ich mir erhofft hatte, blieb aus. Im Gegenteil. Meine Hände zitterten nur noch stärker. Ich sah auf die Uhr. Halb elf. Noch über eine Stunde, bis H. P. und Lady Audley McPhaerson kamen. Nein, ich mußte mich beherrschen. Wenn ich mich weiter so gehenließ, würden sie mich als sabbernden Idioten vorfinden.
    Draußen in der Halle polterte etwas. Ich fuhr zusammen, unterdrückte im letzten Augenblick einen Schrei und starrte zur Tür. Eine Sekunde später wiederholte sich das Poltern, dann hörte ich Merlins ärgerliches Fauchen.
    Ich atmete erleichtert auf. Natürlich das war der Kater gewesen. Merlin war berüchtigt dafür, ein Zimmer, das die Mädchen drei Stunden lang mühsam aufgeräumt hatten, innerhalb von drei Minuten wieder verwüsten zu können. Ich ging zur Tür, öffnete sie, und sah mich nach dem Kater um.
    Ich entdeckte ihn nicht, aber dafür fiel mir auf, daß die Lampe am oberen Ende der Treppe ausgefallen war. Schwarze Schatten hatten die obersten drei Stufen verschlungen. Und aus diesen Schatten heraus starrten mich zwei winzige, rotglühende Augen an!
    Und nicht zum erstenmal an diesem Tag hatte ich das Gefühl, mein Herz würde aussetzen. Ich taumelte zurück, prallte gegen den Türrahmen und schimpfte mich im nächsten Moment in Gedanken einen totalen Volltrottel.
    Natürlich waren es rote Augen. Schließlich war Merlin ein Albinokater. Ich atmete hörbar auf und machte einen Schritt auf die Treppe zu. »Jetzt hör auf, mich zu Tode zu erschrecken, und komm herunter!« rief ich barsch. »Aber ein bißchen

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