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Der Erbe der Nacht

Titel: Der Erbe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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plötzlich!«
    Die roten Augen starrten mich weiter an, und für einen Moment hatte ich das Gefühl, daß sich die Schatten bewegten
    aber Merlin rührte sich nicht von der Stelle.
    Ich sah ein, daß ich mit Strenge wenig erreichen würde; so etwas hatte Merlin noch nie besonders beeindruckt.
    Seufzend ging ich ein wenig in die Hocke, streckte die Hand aus und schlug eine andere Taktik ein. »Komm, Miez«, lockte ich. »Komm zu Herrchen. Ich habe feine Milch für dich.
    Koomm, Miezi-Miezi-Miez.«
    »Miaaaaaauuuu«, antwortete Merlin.
    Hinter mir.

    Mein Lächeln gefror zur Grimasse. Die roten Augen oben auf der Treppe starrten mich weiter an, aber gleichzeitig hörte ich ein zweites, hoffnungsvolles Miaauu hinter mir, und dann berührte Merlins flauschweicher, grüßend aufgestellter Schwanz sanft wie eine Feder meine ausgestreckte Hand.
    Ich schrie auf, sprang wie von der Tarantel gestochen in die Höhe und war mit einem einzigen Satz wieder im Salon.
    Als es eine Stunde später an der Haustür läutete, war ich tausend Tode gestorben. Ich hatte die Tür verriegelt und zusätzlich noch ein schweres Sofa davorgeschoben, und nicht einmal Merlins erbarmungswürdiges Maunzen und Kratzen hatten mich dazu bewegen können, sie auch nur einen Millimeter weit zu öffnen.
    Dabei spürte ich instinktiv, daß das Wesen dort oben auf der Treppe nicht herunterkommen würde. Ohne einen bestimmten Grund dafür angeben zu können, wußte ich einfach, daß sein Dasein noch keine Gefahr bedeutete. Es war nur eine Warnung.
    Was nichts daran änderte, daß ich vor Angst beinahe verging.
    H. P. mußte dreimal läuten, ehe ich den Mut aufbrachte, das Sofa zur Seite zu schieben und zur Tür zu gehen. Die Schatten am oberen Ende der Treppe waren verschwunden, aber ich hatte immer noch das Gefühl angestarrt zu werden.
    Mein Gesicht muß wohl kreidebleich gewesen sein, als ich die Haustür öffnete, denn H. P. hielt sich gar nicht erst mit einer Begrüßung auf, sondern starrte mich alarmiert an und fragte: »Was ist denn los?«
    »Nichts«, antwortete ich ausweichend und versuchte zu lächeln. »Ich bin nur ein bißchen müde. Ich habe nicht viel Schlaf gekriegt, heute.«
    »Das ist gut«, flötete eine Stimme hinter ihm. »Ich meine, es tut mir natürlich leid für Sie, aber Müdigkeit hilft einem, die Barrieren zum Unterbewußtsein schneller zu durchbrechen, wissen Sie?«
    Ich sah überrascht an H. P. vorbei und entdeckte drei weitere Besucher, die hinter ihm an die Haustür getreten waren: Rowlf, Dr. Gray und eine massige Gestalt in einem grauen Cape und mit dem gewaltigsten Hut, den ich jemals erblickt hatte. Das mußte Lady Audley McPhaerson sein.
    H. P. lächelte entschuldigend, und ich trat endlich zur Seite, um meine Gäste einzulassen.
    Ich besah mir H. P.s Medium etwas genauer, während sie sich aus ihrem Cape schälte. Lady Audley McPhaerson sah nicht einmal unattraktiv aus soweit eine grauhaarige, etwas zu kurzbeinig geratene Matrone, deren Körpergewicht sich eher dem zweiten als dem ersten Zentner zuneigte und die ihrem sechzigsten Geburtstag näher war als dem fünfzigsten, attraktiv auszusehen vermag. Aber das Kleid, das sie trug, sah teuer aus und das Saphirkollier um ihren Hals mußte ungefähr dem Gegenwert einer mittleren englischen Ortschaft entsprechen. Ihre Stimme übertönte den Lärm der Stereoanlage, die immer noch im Salon spielte, mit Leichtigkeit.»Robert!« sagte sie, nachdem sie abgelegt und sich wieder zu mir umgewandt hatte. »Sie müssen Robert sein. H. P. hat mir schon eine Menge von Ihnen erzählt. Aber ich muß gestehen, er hat eher untertrieben.«
    Sie drückte mich kurz und heftig an sich, als wären wir gute alte Bekannte, trat einen Schritt zurück und musterte mich von Kopf bis Fuß. Ihre kleinen Äuglein funkelten. »Sie werden uns also das Vergnügen bereiten, an einer kleinen Séance teilzu-nehmen?« fragte sie.
    Ich rang mich zu einem Lächeln durch, verbeugte mich und sagte: »Dazu … sind wir hier, Mylady.«
    »Oh, wie entzückend!« sagte Lady Audley. »Der junge Mann hat ja sogar Manieren eine Seltenheit heutzutage. Damit ist ein angenehmer Verlauf des heutigen Abends ja gesichert.« Sie klatschte in die Hände und sah sich mit unverhohlener Bewun-derung um. »Und dieses Haus. Das ist ja ein Traum. Nein, wie entzückend!«
    Auch ich sah mich rasch in der Halle um. Aber mein Blick galt eher dem schwarzen Schatten am oberen Ende der Treppe.
    Plötzlich fiel mir auf, daß H. P. meinem Blick

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