Der Erbe Dschainas
ich«, sagte Fethan.
In Eldene brach sich auf einmal ein Schuldgefühl aufgrund der ungewohnten Trägheit Bahn, und sie setzte sich rasch im Bett auf und sah zu, wie der Alte zunächst ein Gewehr und dann einen schweren Tornister von den Schultern nahm und beides auf dem Boden deponierte. Als sie dann merkte, dass sie völlig nackt war, wurde ihr klar, dass Fethan sie ausgezogen haben musste, nachdem sie gestern Abend ins Bett geplumpst war. Verlegenheit trug zu ihrem Unbehagen bei.
»Wie lange habe ich geschlafen?«, fragte sie und zog die saubere, blassblaue Bettdecke fest um sich, wobei sie bemerkte, wie schmutzig ihre Hände im Vergleich dazu wirkten.
»Etwa anderthalbmal so lange, wie du gewohnt bist.«
Eldene fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht und nahm ihre Umgebung etwas gründlicher in Augenschein als bislang. Dass dieses Zimmer, das größte und luftigste, in dem sie je geschlafen hatte, unter der Erde lag, blieb für sie ein Wunder.
Fethan deutete auf eine Bogentür in einer Wand. »Dort findest du eine Dusche mit heißem Wasser und anderen Luxusgütern, an die du dich leicht gewöhnen kannst. Du hast etwa eine Stunde Zeit, bis wir wieder aufbrechen, also sieh lieber zu, dass du in die Gänge kommst, Mädchen.«
Eldene blickte in die angezeigte Richtung, verspürte aber wenig Neigung, nackt aus dem Bett zu steigen – selbst wenn der Alte sie in der Nacht ausgezogen hatte.
»Wo sind meine Sachen?«, fragte sie schließlich.
»Habe ich weggeworfen«, antwortete er. »Neue Sachen findest du in diesem Tornister.«
»Wozu die Eile? Und wohin gehen wir?«
Fethan kam herüber und setzte sich auf die Bettkante. »Gerade ist ein Schiff mit frischem Nachschub eingetroffen, und ich dachte, du würdest es dir gern ansehen. Der Weg ist nicht weit, aber Lellan begrenzt die Zahl der Ausflüge dorthin, damit die Aktivität nicht entdeckt wird, und so finden wir nur einmal Gelegenheit.« Abrupt stand er wieder auf, bemerkte vielleicht endlich, warum Eldene unbehaglich zumute schien. »Hast du alles verstanden, was Carl dir bei unserer Ankunft erklärt hat?«, fragte er.
»Teilweise«, antwortete Eldene, denn sie war fast besinnungslos vor sich hingelaufen, während Carl ihr seine Vorträge hielt.
»Du weißt also noch, wo man Tunnel siebzehn findet?«
»Wo der Fluss einströmt?«
»Richtig«, bestätigte Fethan. »Falls es dich interessiert, sei in einer Stunde dort.« Er grinste verschmitzt und ging zur Tür. Sobald er fort war, strampelte sich Eldene von der Bettdecke frei und ging unter die Dusche. Sie musste bei Fethan bleiben, denn ohne ihn wusste sie einfach nicht, was sie tun sollte – das war vielleicht das Schwierigste bei einem Wechsel aus der Sklaverei zu einem Leben, das Wahlmöglichkeiten bot. Unter der Dusche begeisterte sie sich an dem heißen Wasser, der parfümierten Seife und den großen warmen Handtüchern, obwohl sie jetzt nicht die Zeit hatte, das alles ausgiebig zu genießen. Sie wusch sich schnell und methodisch, trocknete sich gründlich ab und lief dann zu dem Tornister, den Fethan gebracht hatte. Ehe sie ihn öffnete, nahm sie das Gewehr zur Hand – von der gleichen Art wie die von Lellan und den anderen getragenen – und inspizierte das Ding. Sie bezweifelte, dass es Fethans persönliche Waffe war und er sie hier versehentlich zurückgelassen hatte – sie sah allmählich ein, dass Fethan kaum etwas versehentlich tat –, also musste er es für sie mitgebracht haben. Sie warf es aufs Bett und versuchte nicht darüber nachzudenken, was die Bereitstellung dieses Gegenstandes über ihr künftiges Leben aussagte.
Im Tornister fand sie Unterwäsche und eine Uniform, die sie rasch anzog; dabei fiel ihr auf, dass der Schnitt des Hemdes keinen Spielraum für einen Skole bot, und freute sich unbändig darüber. Zu dem Paket gehörten auch eine Steppjacke, ein Sauerstoffbehälter mit Maske, eine Kochausrüstung, ein Schlafsack sowie verschiedene andere Gegenstände, die dem Überleben in der Wildnis dienten – und von denen sie einige nicht kannte. Fethan hatte gesagt, dass es nicht weit bis zum Schiff war, also nahm sie nur Atemausrüstung und Jacke mit und ließ den Rest des Tornisterinhalts zurück. Auch das Gewehr ließ sie dort liegen, wo es war.
Die Säulenstadt war für Eldene eine stärkere Quelle des Staunens als die vertrauten Teiche und Felder auf dem Höhlenboden. Sie hatte aus ihrer Zeit im Waisenhaus der Hauptstadt vage Erinnerungen an mehrstöckige Häuser,
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