Der Erbe Dschainas
die Frau auf den Boden legte, ehe er die Tür hinter sich abschloss. Jetzt musste er herausfinden, wie er genau das bekam, was er brauchte. Er hockte sich neben die Frau, drückte ihr die Finger in die offene Wunde hinter dem Ohr und schickte Fadenausläufer der Dschaina-Substruktur durch ihre Haut in den Schädel. Auf die gleiche Weise, wie sich die Substruktur mit Skellors Kristallmatrix-KI und mit ihm selbst verbunden hatte, verband er sich nun mit der Frau und las ihre Gedanken – vermittels derselben Entschlüsselungsprogramme, die er zuvor bei der Substruktur benutzt hatte. Als Erstes konstruierte er ein Modell ihres Gehirns in einem kleinen Winkel seines Verstärkerspeichers, und im Zuge der Entschlüsselung ihrer Gedanken kopierte er dann alles, was ihr Bewusstsein ausmachte. Rasch fand er heraus, dass er das Modell nicht mehr brauchte, und löschte es. Wie ihm klar wurde, war das, was er hier tat, eine zerstörerische Ablesung: Erinnerungen, Erfahrungen, Fähigkeiten, das Begreifen … all diese Facetten ihres Bewusstseins absorbierte er und zerstörte dabei gleichzeitig ihre komplexe Basis; es war, als lernte er ein Buch auswendig und verbrannte dabei jede Seite, nachdem er sie sich eingeprägt hatte. Als er fertig war, zog er die Finger zurück und stellte fest, dass die Frau noch lebte – dass die autonomen Impulse noch funktionierten, die er unberührt gelassen hatte. Mit einer Grimasse fasste er sie erneut an, fand den fraglichen Teil ihres Gehirns und hielt ihr Herz an.
Dann lehnte er sich zurück und machte sich an die Bearbeitung all dessen, was er absorbiert hatte. Er löschte riesige Erinnerungsblöcke, die er als irrelevant einstufte, und gelernte Fähigkeiten, deren Stand er selbst längst übertraf. Was ihm schließlich verblieb, waren die Kenntnisse der Frau von diesem Schiff: die Grundrisse; die Stellen, in die die Schiffs-KI nicht Einblick nehmen konnte; die Funktionsweise der automatischen Anlagen; die Drohnen, ihre Verbindungen mit der KI, die Programmiersprachen – eine Fülle von Kenntnissen, die es ihm möglich machten, auch ohne die Chamäleonware unentdeckt durch das Schiff zu streifen. Von der Frau erfuhr Skellor auch, warum das Schiff so schnell von Callorum aufgebrochen war, und durch ihre Augen erlebte er die Zerstörung Mirandas mit, wie sich das Ereignis auf dem Monitorschirm ihrer Kabine dargestellt hatte. Auch erfuhr er, dass es keine Kommando-Crew gab, wohl aber einen Interface-Kommandanten. Er erfuhr von der eingelagerten Golem-Armee, vom fünfhundert Köpfe starken Stab an Technikern, Matrosen, Wartungspersonal und ECS-Leuten – jetzt größtenteils in den Kälteschlafkästen. Schließlich brachte er in Erfahrung, wo die gefangenen Separatisten von Callorum eingesperrt waren, und damit wusste er, welches seine nächste Aufgabe war.
Cormac betrat die Krankenstation und packte schnell den Türpfosten, ehe er abrupt vom Boden hochstieg. Der Junge lag aufgestützt in einem Bett, den gebrochenen Fuß in einem Autodokschuh, Medikamentenpflaster an den Armen. Er aß heißhungrig von einem gut gefüllten Teller. Mit strahlenden Augen musterte er Cormac. Als sich seine Erinnerung meldete, breitete sich Verwirrung in seinem Gesicht aus.
»Sie sind Cormac«, sagte er.
Cormac nickte und ging vorsichtig über den Teppichboden, um sich auf einen Stuhl neben dem Bett zu setzen. Plötzliche Schwerkraftwechsel waren gewöhnungsbedürftig, aber jede höhere Einstellung als die derzeitige wäre für den Jungen unbequem gewesen.
»Sie gehören der Earth Central Security an«, fuhr Apis fort.
»Das tue ich«, bestätige Cormac.
»Ich habe sie umgebracht.«
Cormac musterte ihn sorgfältig. Dreiundzwanzig Masadaner?
»Vielleicht erzählst du mir die Geschichte lieber von Anfang an. Du stammst von Station Miranda, nicht wahr?«
»Ja.«
»Erzähle mir, was dir passiert ist.«
Apis tat wie geheißen. Danach war es an Cormac, Verwirrung zu zeigen. Also war Drache eindeutig in die Sache verwickelt – aber wie? Diese Frage musste jedoch zunächst warten.
»Es ist zweifelhaft, dass man dich wegen Mordes vor Gericht stellt. Was du getan hast, geschah zur Selbstverteidigung, egal wie viele du dabei getötet hast.« Cormac legte Apis sachte die Hand auf die Schulter. »Ich gratuliere dir vielmehr. Diese Soldaten von Masada scheinen Fanatiker zu sein, und nach dem, was ich gehört habe, sind sie wohl für zahlreiche Todesfälle verantwortlich.« Er nahm die Hand zurück. Der Junge
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