Der Erbe von Sean Garraí (Das Kleeblatt)
wirklich nicht lange gedauert, bis ihm klar geworden ist, dass er sich die Falsche ausgesucht hat. Ein Mann mit seinen Erfahrungen kann mehr erwarten, als ich zu bieten habe, dachte sie und ihr wurde übel. Sie hatte ihm nichts zu bieten. Gar nichts.
Ihm fiel auf, wie sie ihn wachsam beobachtete, als sei er ihr völlig fremd. Sein Herz zog sich zusammen. Er berührte ihre Hände, mit denen sie die Decke vor ihrer Brust zusammenhielt. „Nicht“, bat er leise. „Tu das nicht, Alicia.“
Was – nicht? Ihr stockte der Atem, als sie in seinen Augen den deutlichen Ausdruck des Verlangens erkannte.
„Versteck dich nicht vor mir. Sind wir nicht alle auf die eine ode r andere Art und Weise unvollkommen? Beschädigt und verletzt? Einzigartig? Machen uns diese Unzulänglichkeiten und Narben, all die Erfahrungen, die sich damit verbinden, nicht erst zu dem, was wir sind?“
Als sie sich tiefer in die Decke verkroch, drehte er sich mit einem heftigen Ruck, an dem sie seine Verärgerung erahnte, um und schaltete die Nachttischlampe an.
„ Sieh mich an. Mach schon, sieh her!“ Er deutete auf seine Leiste, wo das gekräuselte Haar bloß noch vereinzelt zwischen tiefroten Narben spross, welche sich bis zu seinem linken Knie hinab zogen. „Das macht mich nicht unbedingt anziehender, oder?“
„ Sie werden verblassen. Irgendwann. Ich wusste nicht, dass du … Du hattest viel Glück. Bei dem Unfall. Ich meine …“ Ihre Ohrenspitzen liefen rot an. „Dass du nicht …“
„ Stimmt, das klappt noch immer recht gut.“ Er rollte sich auf die Seite und streichelte bedächtig ihren flachen Bauch, während er dachte, dass dies der passende Moment wäre, um ihr zu erzählen, was dagegen ganz und gar nicht mehr funktionierte.
Aber die Gelegenheit verstrich ungenutzt, weil Alicia tief Luft holte und sagte: „Ich glaube, ich habe mich tatsächlich in dich verliebt.“
Noch nie in ihrem Leben hatte sie solche Angst gehabt wie in dieser Sekunde. Einen kurzen Augenblick fürchtete sie, er würde sie auslachen.
D as jedoch tat er nicht.
Er reagierte gar n icht und das war beängstigender als alles andere. Er lag einfach da und blickte sie aus seinen ehrlichen Augen an. Und in dieser Sekunde wünschte sie, er hätte sie ausgelacht. Denn dann hätte sie in sein amüsiertes Gelächter einstimmen können, als hätte sie lediglich einen Scherz gemacht. Dann müsste sie jetzt nicht zusehen, wie die Entschlossenheit und das Begehren in seiner Miene allmählich blankem Entsetzen Platz machten.
Sämtliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Das Ausmaß ihrer Gefühle schockierte ihn sichtlich. Das ging ihm alles zu schnell und er spürte deutlich, wie ihm der Angstschweiß ausbrach. Sie liebte ihn? Großer Gott, er wollte nicht, dass sich jemand in ihn verliebte! Mit ihm ins Bett gehen und ein paar vergnügliche Stunden genießen und dabei so vernünftig sein, dass alles unkompliziert blieb – das war alles, was er von Alicia gewollt hatte. Aber nicht – um nichts in der Welt! – dass sie seine Pläne für seinen Aufenthalt in Killenymore, ja für sein Leben, durcheinanderbrachte. Liebe gehörte nicht mehr dazu, seit er bei dem Unfall bleibende Schäden davongetragen hatte, körperliche Schäden, die ihm eine Bindung unmöglich machten.
Eine Woge von Verletztheit un d Wut schlug über ihr zusammen. „Überraschung!“ Sie löste sich von Manuel, was einfach war, da er sie gar nicht mehr festhielt.
„Alicia …“
„Es tut mir leid. Es war dumm von mir. Ausgesprochen dämlich sogar. Vergiss alles, was du gehört hast.“
Ihr Gesicht brannte vor Scham. Sie sprang aus dem Bett. Ein dünnes, eingefrorenes Lächeln lag auf ihrem Gesicht, während sie hastig ihre Kleidung zusammensuchte.
„Lass mich etwas sagen, Alicia.“
„Ich will es nicht hören. Es ist schon zu viel gesagt worden. Du musst mir überhaupt nichts darauf antworten. Ich bin nicht so blöd, um nicht zu wissen, dass du zu keinem Zeitpunkt auf eine Beziehung mit mir aus warst. Ob du meine Liebe erwiderst, hat also keine Bedeutung.“
„Alicia …“
„Ich muss gehen.“
„Jetzt warte mal.“ Seine Stimme klang irgendwie … panisch. „Warte!“
„Nein! Das werde ich nicht! Wenn du willst, kannst du warten.“
Gr undgütiger, was hatte sie sich bloß dabei gedacht? Ihr Auftritt erschien ihr dermaßen peinlich, dass sie am liebsten im Erdboden versunken wäre.
„Warte von mir aus eine Woche. Oder den Rest deines Lebens. Aber tu es um Gottes Willen
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