Der Erbe von Sean Garraí (Das Kleeblatt)
sich: „Was hast du jetzt mit Sean Garraí vor? Was wirst du aus deinem Leben nach der Seefahrt machen? Wie geht es beruflich bei dir weiter?“
„Ich weiß es nicht.“
„Ach, komm schon, Manuel, raus mit der Sprache. Es ist doch unwahrscheinlich, dass du dir nicht irgendwelche Gedanken diesbezüglich gemacht hast, bevor du dich in den Flieger nach Irland gesetzt hast. Anderenfalls rate ich dir, das schnellstens nachzuholen. Ich glaube kaum, dass sie mit ihren Fragen und Forderungen an dich lange hinterm Berg halten werden.“
E r ließ sich Zeit mit einer Antwort, füllte zunächst aufs Neue sein Glas mit dem bernsteinfarbenen Whiskey und gab Wasser dazu. Langsam hob er den Kopf, vermied es allerdings weiterhin, Alicia anzusehen, weil er fürchtete, dass seine Augen verraten könnten, was sein Mund verschwieg.
„Ich war nach dem Untergang unseres Schiffes einige Zeit arbeitsunfähig. Um genau zu sein …“, seine Stimme wurde beständig leiser, als würde er nur zu sich selber sprechen. „Ich bin es noch immer. Aus der Reha-Klinik wurde ich zwar als geheilt entlassen, weil ihnen keine Behandlungen mehr eingefallen sind, mein Knie dagegen … Du hast es schon bemerkt, nicht wahr? Total hinüber. Es wird nie wieder voll belastbar sein. Eine Frage der Zeit und meiner Ausdauer, wie weit sich die Beweglichkeit steigern lässt, doch irgendwann ist Schluss.“
Womit sich zwangsläufig die Frage stellte, ob seine Bemühungen ausreichen würden, die Ärztekommission davon zu überzeugen, dass er ungeachtet seines zertrümmerten Beines weiterhin zur See fahren konnte. Aber das sprach er nicht aus. Und er sah genauso wenig eine Veranlassung, Alicia zu erklären, dass – was selbstverständlich noch wesentlich peinlicher als der Verlust der Seetauglichkeit wäre – er es sich möglicherweise nicht mehr zutraute, an Bord zu gehen.
Wie um sich für seine nächsten Worte zu entschuldigen, zuckte er mit der Schulter und meinte: „Ich bin Seemann und das ist das Einzige, was ich mir vorstellen kann zu sein.“
„ Also ist Sean Garraí nicht mehr als der Strohhalm, nach dem du greifst, bis dir ein richtiger Rettungsring zur Verfügung steht?“
„So ungefähr. Ja.“
„Diese Antwort wird Damien nicht gefallen.“
„ Glaubst du, mir gefällt alles, mit dem ich leben muss?“
„Es mag unhöflich sein zu fragen , trotzdem tue ich: Wie lange wirst du bleiben?“
7 . Kapitel
Alicias Frage nach seinen Plänen für die Zukunft hatte ihn die halbe Nacht wach gehalten, bis er schließlich in einen traumlosen Schlaf gesunken war. Noch bevor ihn das Sonnenlicht am nächsten Morgen wecken konnte, drängte sich unerträglicher Schmerz in sein Bewusstsein. Spinnengleich machte er kurz beim Knie halt und spann seine Fäden um das steife Gelenk. Dann zog er die Nervenstränge hinauf bis zur Hüfte. Und von dort weiter …
Schweißgebadet fuhr Manuel auf und massierte verzweifelt den verhärten Oberschenkel. Der Schmerz wurde beständig schlimmer und ergriff Besitz von den im Schlaf erschlafften Muskeln, bis sie sich verkrampften. Er rang nach Atem und biss sich die Lippen blutig, um gegen die Qualen anzukämpfen und nicht aufzuschreien.
Er wusste, der Krampf würde nachlassen, wenn er aufstand und langsam umherging. Trotzdem hatte er wie jedes Mal Angst vor dem ersten Schritt und dem Gefühl, vor Schmerz ohnmächtig zu werden. Er schloss die Augen und zwang sich, ruhig und gleichmäßig Luft zu holen. Er konnte die eigene Hilflosigkeit in diesem Zustand einfach nicht ertragen, hasste es, sich von Schwäche und Furcht beherrschen zu lassen, verabscheute sich selbst, weil er nicht funktionierte, wie er es sollte und von sich gewohnt war.
Vorsichtig bewegte er den Fuß, beugte und streckte das Knie, bis sich seine Muskeln langsam entspannten. Der Krampf entließ ihn aus seinen unbarmherzigen Krallen und machte schließlich einer gnadenlosen, körperlichen Schwäche Platz. Vor Anstrengung keuchend sank er in die Kissen zurück und konnte nicht verhindern, dass ihm die Augen vor Erschöpfung zufielen.
Der Zufall wollte es, dass ihm Alicia an diesem Tag als Erste über den Weg lief. Obwohl sie ihn mit ihrem Erscheinen daran erinnerte, dass er ihr noch eine Antwort schuldig war, freute er sich darüber, sie zu sehen. Er musste sich eingestehen, dass er ihr Lächeln und ihre ruhige Art, mit ihm zu reden, mochte. Es gefiel ihm sogar, wie sie unangenehme Dinge zur Sprache brachte, ohne ihn mit Vorwürfen zu
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