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Der Erbe von Sean Garraí (Das Kleeblatt)

Der Erbe von Sean Garraí (Das Kleeblatt)

Titel: Der Erbe von Sean Garraí (Das Kleeblatt) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansi Hartwig
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Entscheidungen nicht mehr ausschließlich mit dem Verstand getroffen werden? Hast du Angst, dass unvermittelt sehr viel Herz und Gefühl mit ins Spiel kommen?“
    „Es ist Zeit, die Kinder nach oben zu bringen“, beendete er abrupt ihr Gespräch.
    Die hatten sich während der letzten Minuten auffällig ruhig verhalten und das nicht, weil die Gespräche Erwachsener sie nicht interessierten – sie hatten die Kinder eingeschläfert, wie Alicia feststellte.
    „Du hast wie immer Recht. Gib mir Ena. Und halte Shawn fest, er rutscht gleich über deinen Kopf.“
    „Dass ich keine eigenen Kinder haben will, bedeutet nicht, dass ich fremden etwas antun würde“, erwiderte er barsch.
    Alicia bemerkte die kühle Distanziertheit seines Blickes, die seinen heißen Zorn höchst unzulänglich verbarg, und seufzte stumm, während sie ihm Ena abnahm. Ohne ein weiteres Wort mit ihm zu wechseln, trug sie seine Schwester ins Haus, um sie zu Bett zu bringen.
    Warum musste jedes Gespräch mit ih m in einem Streit ausarten? Warum konnten sie sich nicht wie normale Menschen ganz entspannt unterhalten und am Ende auseinander gehen und vergessen, worüber sie gelabert hatten? Ausgerechnet über Kinder und Familie und – Großer Gott! – Gefühle mit ihm diskutieren zu wollen! Etwas Dümmeres hatte ihr wohl nicht einfallen können?
    Ihre Miene erhellte sich, als sie sich eine Viertelstunde später wieder unter die Gäste mischte und Raymon am anderen Ende des Tisches in ein Gespräch mit dem Bürgermeister vertieft entdeckte. Mit ihm konnte sie über derart heikle Themen reden, ohne gleich zu befürchten, dass sie sich bei einer Meinungsverschiedenheit die Köpfe einschlugen. Nie hatte sie einen zuverlässigeren und treueren Freund als ihn gehabt.
    Tatsächlich hatte sie ihn seit ihrer ersten Begegnung gemocht. Acht Jahre war das inzwischen her. Damals lebte er seit genau zwei Tagen in Killenymore, hauste im Haus seines Vorgängers, des verstorbenen Doktor Carty, aus Kisten und Kartons und versuchte, sich in der fremden Umgebung einzugewöhnen, als Ena sich ausgerechnet an ihrem ersten Geburtstag einfallen ließ, Windpocken zu bekommen.
    Alicia war zu ihm gefahren, da er nicht ans Telefon ging, und hatte ihn auf dem verstaubten Fußboden inmitten Dutzender Bücher sitzend und aus einer Büchse kaltes Fleisch essend angetroffen. Während er sich auf den Weg zu seinem ersten Patienten gemacht hatte, war sie in dem kleinen Haus geblieben und hatte eingek auft, für ihn gekocht und ein klein wenig geputzt. (Bei dieser Gelegenheit hatte sie dann sogar den Telefonapparat gefunden. Im Schuhschrank.)
    Als sie später g emeinsam beim Abendessen saßen, seinem ersten warmen Essen seit Tagen, merkte sie schnell, dass ihr mit ihm nie der Gesprächsstoff ausgehen würde. Er wusste Unmengen von Geschichten zu erzählen – nicht eine hatte sie seitdem zweimal gehört –, die sie sentimental werden ließen und schon im nächsten Moment wieder zum Lachen brachten. Er besaß die typisch irische Begabung, sich mit Vergnügen und Offenheit über sich lustig zu machen. Obendrein war er ein ausdauernder, geduldiger Zuhörer und selbst das gelegentliche Schweigen zwischen ihnen empfand sie als überaus angenehm.
    Alicia musste einmal mehr an das weit verbreitete Vorurteil denken, wonach es viele Iren mit der Wahrheit nicht so genau nahmen und über ein gewisses Talent im Angeben verfügten. Oh ja, Ray machte seiner irischen Herkunft in der Tat alle Ehre. Und wenn schon! Im entscheidenden Moment konnte sie sich auf ihn hundertprozentig verlassen und allein darauf kam es an.
    Immer wieder trafen sich ihre Blicke. Der Lärm zwischen ihnen schien zu verstummen, die Musik, das Kichern der Frauen und Grölen der Männer, das Indianergeheul und die Freudenschreie der Kinder. Der Duft von gebratenem Fleisch und Bier – verschwunden. Und zurück blieb die Erinnerung an ihr gemeinsames Lachen.
    Heute allerdings erkannte sie noch etwas anderes in seinen Augen. Ein Gefühl, das viel tiefer reichte, das weit über Freundschaft hinausging. Alicia war überrascht, wie sehr sie das Beisammensein und die Gespräche mit Ray genoss. Fast hätte man meinen können, sie flirteten miteinander. Und es gefiel ihr. Sehr gut sogar.
    Ihm dagegen absolut nicht, wie Damiens Antennen sofort registrierten, als er seinen Bruder im Halbschatten verborgen an der Hauswand lehnen sah. Die Arme lässig vor der Brust verschränkt, ein Fuß hinter den anderen gelegt, wollte er den Eindruck

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