Der Erbe von Sean Garraí (Das Kleeblatt)
ihr lachend mit dem Finger. „Erzähl das nicht weiter , a cailín . Jeder Mensch hat manchmal vor etwas Angst. Ich ebenfalls. Vor deinem daidí fürchte ich mich allerdings nicht, Shawn. Ich mag ihn nämlich.“
„Ich mag dich auch, m’uncail .“ Shawn legte seine Arme um Manuels Kopf und vergrub sein Gesicht in dem dichten Haar seines Onkels.
„Das ist lieb von dir. Und wenn du jetzt noch deine Hände von meinen A ugen nimmst, finde ich sogar …“ Der Rest seines Satzes ging in einem unterdrückten Schrei unter, als Manuel gegen ein Hindernis prallte und aus dem Gleichgewicht geriet.
„Scheinbar wird es mir zur Gewohnheit , dich zu retten.“
„Wofür ich dir ewig dankbar sein werde.“ Er wischte sich den Staub aus den Augen, mit dem Shawns Hände sein Gesicht verziert hatten, und grinste Alicia schief an.
„Wie hast d u sie überreden können, ohne Zeter und Mordio zu schreien, ihre Hatz auf wilde Tiere abzubrechen?“
Er zuckte lässig elegant mit den Schultern und hob die Augenbrauen in die Höhe, als wäre das sein bestgehütetes Geheimnis.
„Du kannst gut mit Kindern umgehen.“
„Solange es nicht meine eigenen sind, macht es tatsächlich Spaß, sich mit ihnen zu beschäftigen.“
„Warum denkst du, eigene Kinder würden dir keine Freude bereiten?“
„ Ganz einfach: Ich könnte sie nicht abgeben, wenn sie mir auf die Nerven gehen. Und das würden sie früher oder später unter Garantie. Bislang hielt ich das nie für ein Problem, weil ich beabsichtigte, mein Leben als Seemann zu beenden und somit zehn Monate im Jahr auf See zu verbringen. Jetzt muss ich mir wohl etwas anderes einfallen lassen, um dem Geplärre, stinkenden Windeln und verschmierten Rotznasen aus dem Weg zu gehen.“
Er w ürde ihr nicht erklären, dass dies gar nicht mehr nötig war, da sich seit dem Unfall dieses Problem auf spektakuläre Weise erledigt hatte.
„ Stören dich wirklich nur Geplärr, Windeln und Rotznasen oder scheust du dich vor der Verantwortung, die mit einer Entscheidung für Kinder einhergehen?“
Erst jetzt , nachdem er Alicia seine volle Aufmerksamkeit widmete, ging ihm auf, dass sie dieses Thema im Ernst zu diskutieren gedachte. Einen Moment lang sann er darüber nach, was für eine Frau sich hinter ihrem beherrschten und unnahbaren Äußeren versteckte. Aus einem unerfindlichen Grund erschien sie ihm wie jemand, der ein Geheimnis mit sich herumschleppte. Wie mochte sie in der Realität sein?
Wenngleich er an diesem Abend bereits einige Anläufe unternommen hatte und der Vorteil angesichts des reichlich inhalierten Alkohols der Befragten eigentlich auf seiner Seite hätte stehen sollen, war nicht viel Neues über Alicia in Erfahrung zu bringen gewesen. Sie kam stets alleine nach Killenymore, soviel stand fest, obwohl sich einige Ältere vage zu erinnern glaubten, vor Jahren einen Mann an ihrer Seite, vermutlich ihren Vater, gesehen zu haben. Aber niemand wusste mehr von ihm zu berichten, als dass es sich bei ihm um einen ungemein attraktiven Gentleman gehandelt hatte, der jedoch mit keinem von ihnen gesprochen hatte. Alle liebten sie Alicia und lobten sie über den grünen Klee für ihre Ruhe und Geduld, ihre Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit.
W aren es eben diese Eigenschaften, die ihn dazu gebracht hatten, sich vom ersten Augenblick an zu ihr hingezogen zu fühlen? Denn sie war außerdem eine Frau, die die Blicke der Männer auf sich zog und mit ihrem Charme so manchem den Kopf verdrehte. Hatte er denn noch immer nicht genug von der Jagd nach verbotenen Früchten? Weshalb er trotz ihres liebenswerten Charakters befürchtete, sie könnte ihm Ärger machen, konnte er ebenfalls nicht erklären. Sie war ein Rätsel für ihn und eine Herausforderung zugleich. Sie könnte gefährlich werden.
„Ich habe keine Angst davor, Verantwortung zu übernehmen. Ich habe in meinem Beruf nämlich genug davon zu tragen. Wahrscheinlich mehr als ihr alle.“ Nicht bloß seine Worte, auch sein Grinsen waren Ausdruck überheblicher Selbstsicherheit.
Wenngleich sich Alicia über seine Arroganz ärgerte, bohrte sie weiter: „Dann ist es wohl diese ganz spezielle Verantwortung, die Kinder mit sich bringen? Der man sich über Jahre hinweg nicht entziehen kann? Schließlich legt man sich mit einem schnell daher gesagten Ja für eine lange Zeit fest, ohne eine Garantie zu bekommen, dass es einen nicht Kopf und Kragen kosten wird. Fürchtest du die Gefahr, der man sich im Umgang mit Menschen aussetzt, weil
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