Der Erbe von Sean Garraí (Das Kleeblatt)
vorsichtig näher. Ihr Blick wanderte von den unglaublich breiten Schultern zu dem scharf geschnittenen Gesicht. Einige Blätter hatten sich in seinem zerzausten Haar verfangen und in seinen Zügen lag der gleiche alberne Ausdruck wie bei Ena und Shawn. Ihre Neugier schlug in Faszination um. In Manuels Augenwinkeln bildeten sich kleine Fältchen und unbekümmerte Heiterkeit blitzte in den leuchtenden Augen auf, sodass Alicia ganz warm ums Herz wurde. Ein vergessen geglaubtes Gefühl tief in ihr drin raubte ihr den Atem, sodass sie eine Hand auf die Brust presste aus Angst, ihr Herz könnte sonst zerspringen.
Gerade in de r Sekunde, als sie sich rückwärts von den Spielenden entfernen wollte, um ihrem aufgewühlten Inneren eine Auszeit zu gönnen, blickte er auf – bis in ihre Seele, wie sie glaubte.
Doch auch i hm blieb die Luft weg. Für einen Moment verzauberten ihn ihre türkisfarbenen Augen und das verträumte Lächeln, das sie ihm schenkte. Atmen, ermahnte er sich. Atme, alter Junge! Er zwang sich, den Mund zu schließen, und mühte sich verlegen, seinem von der wilden Jagd entstellten Haar eine minimale Restwürde zurückzugeben. Das war doch lächerlich, sie war nichts als eine Frau.
Aber was für eine!
Sie war mit kaum einer der anderen Frauen zu vergleichen, die er kannte und sich an Attraktivität gegenseitig überboten. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass solche Schönheit stets mit einer gewissen Eitelkeit verbunden war. Sie dagegen schien sich weder der schmachtenden Männerblicke, noch ihres Aussehens bewusst zu sein.
„Alicia!“ Manuel rappelte sich auf die Knie hoch und wischte sich umständlich die erdigen Hände an den Oberschenkeln ab. „Du … Hallo! Wir haben … wir wollten gerade …“
P lötzlich wusste er nicht mehr, was er sagen sollte. Er versuchte, sich zu konzentrieren und dabei nicht ständig dem Verlangen nachzugeben, in ihren Augen zu ertrinken. Er hob die Hand an die Stirn, um sich vor der sinkenden Sonne abzuschirmen, rieb sich über das Gesicht und schüttelte schwach den Kopf. Sie hatte das Gefühl, dass er lächelte, war sich allerdings nicht sicher.
„Wir waren auf Entdeckungsreise.“ Er kam auf die Füße und streckte sich, stöhnend vor Vergnügen.
Shawn räkelte sich ebenfalls und ahmte Manuel dabei derart anbetungsvoll nach, dass er lachen musste, ein breites Lachen, das ehrliche Belustigung verriet.
„ Mitten im Urwald.“
„Bei gaaanz gefährlichen Ungeheuern.“
„Weißt du, Ali, wir haben jetzt nämlich einen echten Trompetenfrosch . Einen rich-tig ech-ten“, plapperte Shawn und wedelte aufgeregt mit den Armen, sodass kleine Erdklumpen von seinen Händen flogen.
Er strahlte Manuel an, der zu spät in Deckung gegangen war und nun den Dreck aus seinem Haar puhlte, schlang seine Arme um den Hals seines Onkels und drückte fest zu. Dann presste er seine Nase an die von Manuel, schaute ihn schielend an und flüsterte: „Den habe ich mir schon sooo lange gewünscht. Aber mein daidí wollte mir immer keinen suchen. Ich hab dich ganz … doll … lieb, m’uncail .“
Als Manuel sich schließlich aus Shawns Umklammerung befreit hatte, war Alicia verschwunden. Enttäuschung machte sich in ihm breit, mehr noch allerdings Fassungslosigkeit, weil er so empfand. Behutsam stellte er Shawn auf die Füße und legte ihm die Hand auf den Kopf. „Nun, ich glaube, für heute sollten wir die Jagd beenden. Es ist zu dunkel und die Batterie in meiner Taschenlampe liefert nicht mehr genug Saft.“
„Noch nicht, m’uncail . Wir müssen den Käferbär verfolgen, bevor sich dieser Feigling verdrückt.“
„ An ciarógbéar kann warten. Auf, mein Junge!“ Manuel setzte sich den quietschenden Neffen auf die Schultern und ließ zu, dass Ena ebenfalls an ihm empor kletterte, obwohl sie beinahe schon zu schwer dafür war.
„ Bitte-bitte! Fünf Minuten noch!“
„Oh ja, nur zehn poplige Minuten!“
„Ich habe keine Lust , mich mit deinem Vater anzulegen, Shawn, wenn ihr so spät in die Falle kommt. Und deine mam , Ena, wird mir die Ohren derart lang ziehen, bis sie mir um die Füße baumeln. Das kannst du mir glauben.“
„Hast du Angst vor meinem daidí ?“
„Quatsch! Manuel hat vor niemandem Angst, stimmt ’s? Nicht mal vor unserer mam . Er hat sogar das Seeungeheuer besiegt, das sein Schiff kaputt gemacht hat. Ganz alleine hat er gegen das Monster gekämpft, als es ihm schon das Bein abgefressen hatte.“
Manuel zauste Ena die schwarzen Locken und drohte
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