Der Erdrutsch (German Edition)
sich
hinein.
„ Na,
alles in Ordnung bei euch? Seid ihr noch fit oder könnt ihr nicht
mehr?“
Pauls Vater stand vor ihnen, wobei er über das ganze Gesicht
strahlte. Die Wangen waren gerötet, er hatte seine Jacke geöffnet.
Hinter ihm kam Johans Vater, auch er hatte eine sehr gesunde
Gesichtsfarbe und freute sich über die gelungene Wanderung.
„ Ja,
alles bestens“, sagte Paul. „Wir haben nur gewartet, dass ihr
auch mal kommt. Sollen wir noch ein bisschen rasten oder könnt ihr
direkt weiter?“, fragte er.
„ Lasst
uns alte Männer mal einen Moment zur Ruhe kommen. Mannoman, die
Lawine war aber auch nicht ohne. Wie seid ihr denn da rüber
gekommen?“
Johans Vater setzte sich auf einen Stein, der mitten in dem Bachbett
lag und trank tiefe Schlucke aus seiner Wasserflasche. Paul guckte
Johan an. Johan blickte Paul an. Paul blinzelte ihm zu, nahm sich
einen Apfel, teilte ihn in der Mitte, um Johan eine Hälfte zu
reichen.
Der Ausblick war atemberaubend: Unter ihnen lag das Tal mit seinen
Dörfern und der Stadt in weiter Entfernung. Die Apfelbäume blühten
üppig, während die Weinberge schon unter der hellgrünen Pracht
verschwanden. Sanft zog sich die Ebene an den Rändern in die Höhe,
wurde steiler, teilte sich in Schluchten und Berge. Je weiter der
Blick nach oben wanderte, desto schroffer wurde die Landschaft. Die
Bäume wichen mehr und mehr den Felsen, bis in der Höhe schließlich
alles vom blendenden Weiß des Schnees abgelöst wurde.
Paul betrachtete das Tal unter sich und ließ den Blick mehr und mehr
in die Ferne schweifen. Sein Puls beruhigte sich langsam wieder. Sein
Blick wanderte zu Johan hinüber. Der war noch ganz in sich
versunken. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Mit wenigen
großen Bissen aß Paul den Apfel, dessen Kerngehäuse er dann in
hohem Bogen in die Schlucht warf. Sie saßen noch immer dicht
nebeneinander auf den Steinen. Ihre Väter hatten sich ein paar Meter
entfernt niedergelassen und unterhielten sich. Nun wandte Paul Johan
den Kopf zu und blickte ihn an. Jetzt sah Johan auch bei ihm die
Angst, die er ausgestanden hatte. Seine Pupillen zitterten ganz
leicht.
„ So
Jungs, wollen wir dann mal weiter?“, fragte Pauls Vater.
Er stand auf und packte seine Flasche in den Rucksack zurück. Johan
senkte den Blick und räumte seine Sachen zusammen. Die Knie
zitterten jetzt nicht mehr.
Der Weg schlängelte sich weiter am steilen Berghang entlang, wobei
er immer weiter anstieg. Je höher sie kamen, desto flacher wurde die
Gegend um sie herum. Nach einer Weile endete das Sicherungsseil an
der Felswand, während die ersten Büsche und kleinen Bäume am
Wegrand auftauchten. Ziegen liefen oberhalb von ihnen erstaunlich
flink den Berg hinauf, sobald sie die Anwesenheit der Menschen
bemerkten. Als sie um den nächsten Felsvorsprung bogen, eröffnete
sich vor ihnen eine vollkommen neue Landschaft: Die schroffen Felsen
wichen einer fast sanften Ebene, die rechter Hand wieder steil
abfiel, wohingegen sie sich links zum Gipfel erhob. Sie war
verschneit und nur eine Bergstation durchbrach das stechende Weiß.
Etwas Rauch stieg auf, einige Menschen saßen auf der Terrasse.
Zwischen den Wanderern und der Station lagen nun nur noch etwa 500
Meter, die sie vor dem endgültigen Aufstieg auf den Gipfel schnell
zurücklegten.
Nach einer ausgiebigen Pause mit Kaiserschmarrn und Salat machten sie
sich auf zum Gipfelsturm. Es war zwar steil, aber es war nicht mehr
gefährlich. Wenn er jetzt ausrutschte, dann fiel er nur in den
Schnee, sagte sich Johan. Nach einer weiteren halben Stunde kamen sie
in die Tiefschneeregion, durch die sie sich dann bis zum Gipfel
durchkämpften. Ein Weg war in den Schnee gebahnt, in dem der
Neuschnee durch die Wanderer, die vor ihnen den Weg genommen hatten,
schon festgetreten war. Oben angekommen genossen sie den Blick ins
Tal, schossen ein paar Fotos unter dem Gipfelkreuz und machten sich
dann wieder auf den Rückweg.
23. Kapitel
Erschöpft kamen sie ein paar Stunden später bei der Pension an, wo
sie schon von Luise erwartet wurden. Die Shopping-Tour war ergiebig
gewesen, sie hatte sich mit neuen Klamotten eingedeckt, während Paul
und Johan von ihren Müttern ein paar neue Sachen mitgebracht
bekommen hatten. Besonders stolz war Luise auf ein neues Seidentuch,
das sie sich von ihrem eigenen Geld geleistet hatte.
Nach dem Abendessen wollte Luise die Kette noch einmal sehen, die
Johan nicht mehr von sich gelegt hatte, seit sie in seine
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