Der Erdrutsch (German Edition)
drehte sich zu ihm um. Paul fischte sich eine neue Shorts aus
der Tüte, die ihm seine Mutter hingestellt hatte. Die Farbe war eine
Katastrophe, aber zumindest hatte sie mitbekommen, dass er keine
Kindergröße mehr trug.
„ Guck
nochmal nach. Hast du ihn vielleicht woanders hingestellt?“, meinte
Paul schließlich.
„ Nein,
wieso sollte ich das tun?“
„ Dann
habe ich doch nicht geträumt.“
Paul berichtete kurz von der Beobachtung in der Nacht. Der Laptop war
geklaut worden.
„ Das
ist kein Zufall, oder?“
Johan ging zum Fenster. Es gab keine Einbruchsspuren, aber ihm fiel
ein, dass sie das Fenster offen gelassen hatten. Das Zimmer lag zwar
nicht im Erdgeschoss, aber durch die Hanglage war der Abstand zum
Boden nicht hoch. Als er sich aus dem Fenster beugte, sah er eine
Holzkiste darunter stehen.
„ Was
sind wir bloß für Idioten. Hier einzusteigen, ist ja kinderleicht.“
Johan schüttelte den Kopf, während er das Fenster wieder schloss.
„ Was
machen wir jetzt?“, wollte Paul wissen.
„ Naja,
wir können ja wohl kaum einen Computer als gestohlen melden, der uns
gar nicht gehört.“ Johan dachte nach. „Wo ist dein MP3-Player?“
Paul durchsuchte seine Tasche und hielt das Gerät kurz darauf
triumphierend in der Hand.
„ Hier
ist er.“
„ Na,
wenigstens etwas.“
„ Nimm
du ihn mit. Ich verliere den bloß irgendwo.“ Paul drückte Johan
den Player in die Hand, bevor er sich anzog.
„ Meinst
du, den Laptop hat jemand wegen der Daten geklaut?“ Johan sah
nachdenklich auf das kleine schwarze Gerät in seiner Hand. „Der
war doch vollkommen kaputt, praktisch wertlos.“
„ Es
sieht ganz danach aus“, antwortete Paul. „Warum sollte den sonst
jemand haben wollen?“
Sie gingen zum Frühstück auf die Terrasse. Eilig berichtete Johan
Luise von den neuen Entwicklungen. Die guckte die beiden entsetzt an.
Eine Weile beratschlagten sie das weitere Vorgehen, kamen aber zu
keiner Lösung. Für das übernächste Wochenende verabredeten sie
sich bei Johan, packten ihre Sachen zusammen und verabschiedeten sich
voneinander. Paul und Johan standen einen Moment voreinander. Johan
war der erste, der den Blick senkte, wobei er den Reißverschluss
seiner Jacke zuzog. Als er wieder hochblickte, sah Paul ihn immer
noch an.
„ Ich
habe noch nie einen richtigen Freund gehabt, weißt du das?“, sagte
Paul. Der Satz war ihm einfach herausgerutscht und er war ihm sofort
ein wenig unangenehm,
„ Wir
sehen uns nächste Woche Freitag. Ich werde mal die Daten auf deinem
MP3-Player durchsehen.“
Johan öffnete die Tür des Mietwagens, warf seinen Rucksack auf die
Rückbank. Seine Eltern packten gerade die letzten Taschen ein. Viel
war es nicht, was sie mitnahmen. Das meiste lag noch immer in dem
chaotischen Trümmerhaufen des Erdrutsches. Johan stieg ein, Paul
schloss die Tür hinter ihm.
Noch einmal ließ Johan das Fenster herunter und sagte: „Ich rufe
dich an, wenn ich etwas herausbekommen habe.“
Seine Eltern stiegen ein, sie fuhren los, die Pension verschwand
hinter den Bäumen. Während der kurvigen Fahrt den Berg hinunter
schwieg die Familie. Johan blickte gedankenverloren aus dem Fenster.
Sie kamen an der freigeräumten Stelle vorüber, an der die Lawine
die Straße touchiert hatte. Am Rand türmten sich zerborstene Bäume,
Erde und Geröll. Die Fenster hatten sie heruntergelassen, die
frische Frühlingsluft strömte in den neu riechenden Mietwagen. Aber
auch der Geruch von Staub lag in der Luft. Der blaue Bus kam ihnen
entgegen und zwang sie, ganz nahe des Abhanges stehen zu bleiben.
Johan blickte einmal kurz in die Tiefe, wandte dann aber sofort den
Blick wieder ab. Sie fuhren unter dem Sessellift hindurch, der seinen
normalen Betrieb wieder aufgenommen hatte. Die Sessel bewegten sich
lautlos, sie waren leer, baumelten leise im Wind. Sie durchquerten
Apfelplantagen und Weinhänge. Nach einer Weile hatten sie das Tal
mit seiner Hauptstraße erreicht. Bauern nebelten ihre Bäume mit
Pestiziden ein. Die Sonne strahlte. Sie fuhren eine ganze Zeit durch
die kleinen Ortschaften, bis sie nach einer halben Stunde endlich die
Autobahn erreichten.
Paul fuhr ein wenig später mit seinen Eltern ab. Luise sah den Autos
ihrer Freunde nach und stand eine Weile auf dem Parkplatz des
Gasthofes. Im Hintergrund sah sie die Arbeiten am Erdrutsch. Dann
fiel ihr der rote Polo auf. Er stand ganz in der Nähe des Gebäudes
der freiwilligen Feuerwehr, halb versteckt hinter einem Baum. Langsam
ging sie auf
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