Der Erdrutsch (German Edition)
Kopf
hielt er gesenkt, hin und wieder kickte er eine leere Flasche auf die
Fahrbahn. Einem Fahrrad, das an einer Ecke stand, trat er mit einem
gezielten Kick eine Acht in den Vorderreifen und einem schwarzen
Mercedes ritzte er mit dem Schlüssel eine lange Schramme in die
Seite, bevor er den rechten Außenspiegel abriss. Der Knall, als der
Spiegel zu Boden fiel, erschreckte ihn ein wenig. Er tauchte wie aus
einem Traum auf. Jetzt freute er sich geradezu auf das Treffen mit
Carla.
Er holte sie von zu Hause ab. Ihre Jacke hatte sie schon angezogen,
als sie ihm die Tür öffnete. Sie rief kurz „Ich bin dann weg!“
ins Haus, dann schlug sie die Tür zu. Als sie außer Sichtweite
waren, verlangsamte Carla das Tempo. Sie erzählte, dass es Ärger
gegeben habe, weil sie weggehen wollte, aber sie habe sich
schließlich durchgesetzt.
Sie gingen zügig zum Kino, wo sie sich auf einen Actionfilm
einigten, für den sie eigentlich noch ein bisschen zu jung waren,
aber da sie älter aussahen, wurden sie problemlos reingelassen. Sie
ergatterten einen Doppelsitz in der letzten Reihe, auf dem sie es
sich gemütlich machten. Kaum war das Licht ausgegangen, da stieg
Pauls Anspannung wieder. Sollte er jetzt schon etwas tun? Während er
noch darüber nachdachte und gleichzeitig versuchte, sich auf den
Film zu konzentrieren, legte Carla schon ihre Hand auf sein Knie.
Paul war erst irritiert, legte aber dann seine Hand auf die ihre. Er
saß stocksteif in dem Kinosessel, während Carla ein wenig näher an
ihn heranrückte. Die erste Szene des Films hatte ihn gepackt, er
wollte am liebsten einfach nur der Geschichte folgen. Doch Paul war
abgelenkt. Langsam zog er seine Hand von der ihren, um den Arm um
Carlas Schulter zu legen, da wandte sie ihm schon den Kopf zu. Sie
schaute ihn erwartungsvoll an. Paul versuchte ihre Augen in der
Dunkelheit zu erkennen. Den Arm hatte er immer noch nicht um ihre
Schultern gelegt. Irgendetwas hielt ihn davon ab. Wie eine innere
Macht, die ihm einflüsterte, das sei falsch. Als er nichts
unternahm, außer Carla anzublicken, richtete sie sich nach einer
Weile wieder auf, nahm die Hand von seinem Knie und verfolgte
lächelnd die Handlung auf der Leinwand.
„ Ich
…“, flüsterte Paul ihr zu, stockte dann aber. Er wusste nicht,
was er sagen sollte.
Sie drehte kaum den Kopf, als sie ihm zuraunte: „Ich weiß schon
Bescheid. Die anderen sagen, du stehst nicht auf Mädchen.“
„ Wie
kommst du denn darauf? So ein Quatsch.“ Er lehnte sich mit
verschränkten Armen zurück und starrte auf die Leinwand.
„ Aber
die anderen sagen das alle“, beharrte Carla.
„ Und,
habt ihr schon Wetten abgeschlossen?“ Carla schwieg. Paul drehte
sich entsetzt zu ihr herum.
„ Ihr
habt tatsächlich Wetten abgeschlossen? Das ist nicht dein Ernst,
oder?“
Er blickte sie an, während sie versuchte, ernst zu bleiben, dann
aber brach ein Kichern aus ihr heraus. Sie konnte sich kaum halten,
so komisch schien sie die Situation zu finden.
„ Du
bist ja total bescheuert“, blaffte Paul sie an.
In der Reihe vor ihnen drehte sie eine Frau um und bat um Ruhe. Paul
ließ sich tief in den Kinosessel sinken. Welch eine Demütigung.
Carla beruhigte sich nach einer Weile wieder. Sie beugte sich zu ihm
herüber.
„ Lass
uns den Film zu Ende gucken. Danach gehen wir auf eine coole Party.
Nimms nicht so schwer.“
Pauls Gedanken rasten. Als sie nach Ende des Films aus dem Kino
kamen, trafen sie auf der Straße ein Paar, das Carla kannte und das
zu der gleichen Party gehen wollte. Sie schlenderten also gemeinsam
durch ein paar Straßen zu der Party, die in einem dunklen Keller
eines Hinterhofs stattfinden sollte. Carla diskutierte mit den beiden
über den Film, während Paul versuchte, seine Gedanken zu sortieren.
Wie sollte er Carla das bloß erklären? Oder war da etwas dran, was
sie gesagt hatte? Stand er gar nicht auf Mädchen? Er dachte an
Johan, mit dem er jetzt gerne gesprochen hätte. Johan war der
einzige Junge den er kannte, der sicherlich nicht über ihn gespottet
hätte, wenn er von der Situation im Kino berichtet hätte. Aber
Johan war ja weit weg. Obwohl … so weit ja doch gar nicht mehr.
Aber heute Abend konnte er sich schlecht abseilen. Dann hätte er
sich vollends blamiert. Irgendwie musste er versuchen, die Situation
zu retten, ansonsten wusste in spätestens zwei Tagen die ganze
Schule von dem Abend mit Carla.
Sie gehörten auf der Party zu den jüngsten, aber davon ließ Carla
sich nicht stören. Die
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